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Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Titel: Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
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Freundin. Außerdem ein paar Sympathisanten mit »halber Stelle«. Geld hatte ich keins, deshalb arbeitete ich weiter nebenbei als Hausmeister und Tischler. Das Büro und die nötigen Stempel – das war schon nicht wenig. Aber auch nicht viel. In Moskau gab es damals 33 solcher Zentren. Ein Jahr später kam das »Gesetz über die Kooperativen« heraus. Später war viel davon die Rede, dass die NTTM -Zentren das Recht erhalten hatten, Buchgeld in Bargeld umzuwandeln. Ja, dieses Recht existierte, aber auch die Kooperativen durften das seit 1986. Übrigens meldeten Herr Tarassow und ich unsere Unternehmen am selben Tag beim Exekutivkomitee der Stadt Moskau an – bei Jelena Baturina. 31 Er registrierte seine Kooperative Technika , ich das Zentrum. Tatsächlich hatte nach der Verabschiedung des Gesetzes über die Staatsunternehmen 1987 jeder diese Möglichkeit; 32 man musste sich nur rühren, statt die Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten.
    Der Preis der Unwissenheit
    Eine interessante Frage ist, was sich der Staat eigentlich dabei dachte, als er die NTTM -Zentren gründen ließ und das Gesetz über die Staatsunternehmen einführte. Die Antwort weiß wohl Michail Gorbatschow. Und auch Alexander Jakowlew wusste sie. 33 Ich nehme an, es steckte mehr Politik als Wirtschaft dahinter. Es war ein zutiefst politisches Spiel, das da ablief. Irgendwer sollte vorgeführt, provoziert werden. Irgendwer kämpfte um politische Ressourcen.
    Niemand konnte sich vorstellen, welchen Einfluss diese Entscheidungen auf buchstäblich alle Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens haben würden. Nikolai Ryshkow, Walentin Pawlow und alle anderen brachten schlicht nicht die nötige Qualifikation und Kenntnis von den Realitäten des Marktes mit, um alles voraussehen zu können. 34
    Zu den ökonomischen Aspekten, die aus meiner Sicht für die konkrete Entscheidungsfindung wie gesagt nur sekundär waren, zählten der Einbruch des Verbrauchermarktes und die Inflation, die sich aufgrund der festen Preise so auswirkte, dass die Waren aus den Regalen verschwanden. Die Gründe dafür sind nur allzu offensichtlich: In der Struktur der sowjetischen Industrie lag der Schwerpunkt auf den Wirtschaftszweigen der Gruppe A, also der Industrieproduktion und den Rüstungsbetrieben. 84 Prozent der Industrieunternehmen waren im Wesentlichen mit Aufträgen aus dem Verteidigungssektor befasst, Konsumgüter waren gewissermaßen ein Nebenprodukt. Die in der Bevölkerung verfügbare Geldmenge wurde mit Importwaren und Alkohol im Gleichgewicht gehalten.
    Die von Gorbatschow initiierte Antialkoholkampagne überschwemmte den Markt mit einer ungeheuren Menge »heißen« Geldes, und da die Importe aufgrund sinkender Öl- und Gaseinnahmen zurückgingen, ließ sich das Problem nicht abfedern. Es kam zu einer Akkumulation der Geldmenge, die wegen des Warendefizits nicht ausgegeben werden konnte. Dazu kam der langfristige Entwicklungsrückstand der Wirtschaftszweige der Gruppe B (Konsumgüter) infolge mangelnder Finanzierung und schlechter Ausstattung sowie die insgesamt geringe Arbeitsproduktivität und Qualität des Verwaltungspersonals, wofür wiederum die langjährige Stagnation verantwortlich war.
    Dieses komplexe Problem sollte nun nach dem Rezept der »kossyginschen« Reformen der sechziger Jahre gelöst werden 35 – mit »Chosrastschot«, also der Erlaubnis zu eigenständigem Wirtschaften, und dem Gesetz über die Staatsunternehmen. Doch es war zu spät. Missverhältnisse in der Grundmittelausstattung lassen sich nicht mit bloßem Enthusiasmus lösen, solange das System der staatlichen Versorgung beibehalten wird. Die Produktion von Konsumgütern mit den Mitteln und Kräften der Giganten der sozialistischen Industrie lieferte nicht nur grässliche Qualität, sondern führte auch zu unglaublichen Kosten. Herstellungskosten von 700 Prozent! Das habe ich selbst gesehen und nachgerechnet.
    Dann wurden die Kooperativen »auf den Weg gebracht«, in der Hoffnung, sie würden die Wende zustande bringen und die leeren Regale wieder füllen. Aber es war vergebens. Die Erfolge der »Produzenten im Untergrund« ließen sich ohne umfassende Veränderungen nicht auf das gesamte Land übertragen.
    Eigentlich hätte jeder Ökonom, jeder Verwaltungsexperte der Staatsführung diese Entwicklung bis ins Letzte voraussagen können. Ihre mangelnde Qualifikation kam unsere Führung teuer zu stehen. Sie wählten den falschen Weg – und hatten dann die Situation

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