Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Titel: Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
Vom Netzwerk:
nicht mehr im Griff.
    Eine zweite Chance hat ihnen die Geschichte nicht gegeben. Statt eine rigorose Verschiebung der Ressourcen zu veranlassen, statt einen radikalen Bruch in der planwirtschaftlichen Branchenstruktur zu vollziehen, statt umfassende personelle Veränderungen vorzunehmen, beschlossen unsere Kämpfer für die Stabilität, alles zu lassen, wie es war. Und daneben die Schaffung von etwas zu »erlauben«, das den Markt auffüllen sollte. Morgen. Ohne Ressourcen, ohne Strukturen und mit minimaler politischer Unterstützung.
    Heute sehe ich mir an, was unsere Politiker tun und erkenne manches wieder. Von wegen Handsteuerung!
    Business in seiner wilden Phase
    »Einfach so« bekam man gar nichts, selbst wenn man ein Anrecht darauf hatte. Das war schließlich Business, noch dazu in seiner wildesten Phase, in der man einfach übers Ohr gehauen werden konnte – und niemand hätte einem geglaubt. Niemand wusste etwas, alle hatten Angst vor allem.
    Meine erste Idee (natürlich nicht meine, sondern die, die ich umsetzte) war einfach. An unserer Hochschule gab es einen Rat junger Spezialisten, dem Doktoranden und junge Dozenten angehörten. Alles Bekannte von mir. Sie konnten für verschiedene Betriebe und Forschungsinstitute arbeiten, zum Beispiel Silikatplatten mit Farbglasur entwickeln oder für eine Reduktion des Energieverbrauchs von Hochtemperaturbrennöfen sorgen. Projekte gab es schon (also Entwürfe, auf Papier), diese aber an jedes einzelne Unternehmen anzupassen, sie zu implementieren, war eine eigene Arbeit.
    Für solche Arbeiten wurden zwischen der Hochschule und dem interessierten Unternehmen üblicherweise sogenannte »Leistungsverträge« geschlossen – über die entsprechende Abteilung der Hochschule. Dort aber regierte der Plan, und jenseits des Plans machte ein Beamter keinen Finger krumm. Ich schlug also vor: Lasst mich die Arbeit des Beamten machen – ich schließe den Vertrag mit dem Auftraggeber und komme für die technische Ausrüstung und das Material auf. Ich bekomme einen Anteil, und zwar weniger als die Hochschule. Buchhaltung, Rechnungswesen, Bankangelegenheiten – alles mein Problem. Sämtliche Rennerei übernehme auch ich. Die Jungs freuten sich und brachten mir den ersten Vertragsentwurf. Mit IWTAN (dem Institut für Hochtemperaturen der Akademie der Wissenschaften der UdSSR ). Der Direktor von IWTAN , Alexander Schejndlin, selbst Mitglied der Akademie der Wissenschaften, ging das Risiko ein und erlaubte seinen Leuten, den Vertrag zu schließen. Bis heute denke ich mit größter Dankbarkeit an ihn zurück. Meine Jungs erledigten alles. Die Sache hatte, glaube ich, mit künstlichen Diamanten zu tun. IWTAN bezahlte für den Auftrag, und ich bezahlte, wie versprochen, die Spezialisten und trug die Kosten. Was mir blieb, war für die damalige Zeit viel Geld; was aber noch wichtiger war: Ich hatte meinen ersten Vertrag erfüllt und konnte argwöhnischen Direktoren anderer Unternehmen nun damit vor der Nase herumwedeln.
    Ich will noch etwas ausführlicher erzählen, wie die sowjetische Wirtschaft damals funktionierte. Nur ganz grob. Geld spielte in dieser Wirtschaft nur eine Behelfsrolle, da sämtliche materiellen Ressourcen von den staatlichen Planungsstellen zugeteilt wurden. Sogar die Auslastung aller wesentlichen Produktionskapazitäten erfolgte nach dem staatlichen Plan. Das heißt, selbst wenn man Geld hatte, brauchte man, um eine neue Maschine zu kaufen, eine »Zuteilung« von Gossnab, dem Staatlichen Komitee für materiell-technische Versorgung. Der Vertragspartner konnte einem eine Maschine nicht einfach billiger oder teurer verkaufen. Den Preis legte Goskomzen fest, das Staatliche Komitee für Preise. Mehr noch, er konnte einem die Maschine ohne Anweisung von Gossnab auch nicht liefern. Selbst um eine weitere Maschine zu produzieren, brauchte man eine Genehmigung von Gosplan , der Staatlichen Plankommission.
    Das System war natürlich schwerfällig und ineffizient. Oft fuhren gleiche Frachten in entgegengesetzte Richtung quer durchs ganze Land oder verstaubten in den Lagern, weil die Pläne der einen Behörden denen anderer Behörden widersprachen. Und die, die diese Frachten zum selben Zeitpunkt brauchten, konnten sie nicht bekommen.
    Es lag auf der Hand, dass es in diesem System auch »freiere« Bereiche gab: die Konsumgüter. Natürlich wurden auch sie nur auf Zuteilung an die Geschäfte geliefert, aber immerhin zwang niemand den einzelnen Menschen, bestimmte Waren zu

Weitere Kostenlose Bücher