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Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Titel: Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
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kaufen (wie das bei den Industrieabnehmern der Fall war).
    Mit der Zeit entstanden Missverhältnisse. Oft hatte ein Unternehmen Geld, konnte aber nicht das kaufen, was es brauchte, weil es dafür keine Zuteilung gab. Selbstredend kam da der Wunsch auf, das »überschüssige Geld« an die Belegschaften auszuzahlen oder für den Kauf von etwas anderem auszugeben. Eine zusätzliche Motivation dafür war die Praxis, dass einem Unternehmen, das sein Geld bis zum Ende des Jahres nicht »verwertet« hatte, nicht nur dieses Geld weggenommen, sondern auch die Finanzierung für das kommende Jahr gekürzt wurde. Mit dem zunehmenden Verfall der Wirtschaft gab es in den Unternehmen immer mehr dieses »überschüssigen«, das heißt nicht durch Ausgaben für Material und Technik gebundenen Geldes. Die Summen waren nicht exorbitant (vielleicht 20 Prozent der gesamten Finanzausstattung), aber doch sehr groß im Vergleich zu dem armseligen Verbrauchermarkt.
    Der Staat war bemüht, den Zufluss dieses Geldes auf den Konsumgütermarkt für die Bevölkerung zu beschränken, ohne es jedoch aus dem Verkehr zu ziehen. Es war deshalb leichter, einen Hebekran zu kaufen, den man nicht brauchte, als einen Fernseher, den man brauchte. Natürlich fanden die Leute Mittel und Wege, die Verbote zu umgehen. Die Kooperativen, die NTTM s und das Gesetz über die Staatsunternehmen führten zu einer Bündelung der Märkte, aber insgesamt war die Lage sehr verfahren. Die Inflation beschleunigte sich weiter, und die Steigerung der Arbeitsproduktivität sowie das Wachstum des Produktionsumfangs bei den Komsumgütern hinkten der wachsenden Geldmenge hinterher. Die Industriegiganten verbrauchten weiter Ressourcen für »unproduktive Zwecke«. So wurde beispielsweise die Produktion von Panzern nicht zurückgefahren; auch die sinnlosen Ausgaben für den Erhalt einer Fünfmillionenarmee und für die aussichtslosen Versuche, in einer modernen, sich globalisierenden Welt eine autonome Industrie aufzubauen, wurden nicht gekürzt.
    Vor dem Hintergrund dieser tektonischen Prozesse wäre es dumm, den Beitrag der Kooperativen und sonstiger »neuer« Wirtschaftssubjekte überzubewerten. Vor 1990/1991 machte dieser ganze Bereich höchstens ein paar Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, vielleicht sogar weniger als ein Prozent. Ich wiederhole noch einmal: Man hätte das Steuerrad dieses großen Schiffs herumdrehen und ordentlich Dampf im Kessel machen müssen, statt darauf zu hoffen, dass ein paar Tausend junger Kerle etwas zuwege bringen. Schließlich hatte man ihnen nicht einmal Ruder in die Hand gegeben. Dafür wurde später jahrelang an dem Mythos gebaut, die ganze Wirtschaft sei zusammengebrochen, weil über die Kooperativen »unbares in bares Geld umgewälzt« worden sei. Das ist offensichtlicher Unsinn, sowohl im Hinblick auf die Dimension dieses Prozesses als auch darauf, wie leicht es gewesen wäre, ihn zu stoppen, wenn er denn tatsächlich Einfluss gehabt hätte. Eine einzige Verordnung der Staatsbank – und das Problem wäre aus der Welt gewesen. Die Sache ist nur, dass dieses Problem erst später erfunden wurde – es hatte keinerlei Grundlage, sondern diente nur dazu, den Ausfall des Verwaltungssystems zu erklären.
    Tatsächlich hatte dieser Prozess ganz andere, politische Wurzeln, die mit der heutigen Entwicklung übrigens vergleichbar sind. Noch einmal: Theoretisch hatte Gaidar recht, als er schrieb, dass die Aufstockung der Bargeldmenge bei einem unglaublichen Defizit von Konsumgütern den Niedergang der Wirtschaft beschleunigt habe. Unser NTTM -Zentrum erwirtschaftete 1988 Erträge von rund 80 Millionen Rubel. Den Entwicklerteams zahlten wir zehn Prozent davon aus: Das war das Geld, das auf den Verbrauchermarkt gelangte. 30 Prozent gaben wir für Technik aus, die wir auf dem Konsumgütermarkt erwarben (Computer), weitere zehn bis 15 Prozent zahlten wir unseren eigenen Servicetechnikern, Programmierern und Managern. 20 Prozent entfielen auf Kosten, die bargeldlos beglichen wurden; 30 Prozent waren Gewinn, der sich auf den Konten akkumulierte und wiederum bargeldlos investiert wurde. Das bedeutet, dass wir 50 bis 55 von 100 Prozent auf den Konsumgütermarkt »warfen«. Die Richtzahl für den Lohn- und Gehaltsfonds eines Staatsunternehmens betrug 25 bis 40 Prozent – wir »emittierten« also im Jahr 1988 zusätzliche zehn bis 20 Millionen Rubel.
    Wir waren – zu meinem Stolz – das größte NTTM -Zentrum in der Sowjetunion. Es gab nur eine Kooperative

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