Meine beste Feindin
besagten Nacht geschlafen hast«, sagte sie und verlagerte das Gewicht, so dass ihr Körper irgendwie steif und hölzern aussah. »Warum hat er dich sonst so oft angerufen?«
Sie sah mich dabei nicht an. Es passte überhaupt nicht zu ihr. Sie flirtete nicht, sie lehnte sich nicht vor. Sie stellte einfach nur eine Frage.
Ich starrte sie an. »Soll das ein Witz sein?«
Sie presste die Lippen aufeinander. »Ich muss es unbedingt wissen.«
»Und kannst du ihn nicht einfach fragen?«, meinte ich. Langsam fing ich an, das Ganze zu genießen. »Das muss ja ein blödes Gefühl sein, wenn man dem eigenen Freund nicht trauen kann.«
Helen sah mich schweigend an.
Vielleicht hatte sie Recht. Vielleicht gab es wirklich Frauen wie mich . Denn das Verlangen, sie fertig zu machen, war unbändig. Warum sollte sie nicht einen Geschmack davon bekommen, wie ich mich gefühlt hatte? Warum sollte sie ihre Tricks nicht mal am eigenen Leib zu spüren bekommen? Ich musste wieder daran denken, was sie an dem Tag nach dem Vorfall im Park Plaza in meiner Wohnung abgezogen hatte. Wie würde es ihr wohl gefallen, wenn ich den Spieß umdrehte? Warum sollte ich sie nicht mit ihren eigenen Waffen schlagen?
Weil Nate es nicht wert war, sagte ich mir selbst. Zögerlich. Ich hätte ihr erklären können, dass ich mit ihm geschlafen hatte, und würde mich damit in ein noch viel wilderes Durcheinander hineinmanövrieren. Oder aber ich konnte ihr die Wahrheit sagen und hier und jetzt aus der ganzen Sache aussteigen. Ich konnte eine kindische Zicke sein oder endlich erwachsen werden.
Die Entscheidung fiel schwerer als erwartet.
»Nein«, hörte ich mich sagen, ohne zu wissen, zu welchem Schluss ich eigentlich gekommen war. »Wir haben nicht miteinander geschlafen. Ich habe ihn in der Nacht nicht mal gesehen. Er hat mir nur die Nachrichten hinterlassen.« Ich hielt ihrem Blick stand und erinnerte mich an etwas, das sie einmal zu mir gesagt hatte. »Ich bin nicht wie du.«
Den letzten Satz fand sie nicht gerade komisch, aber sie sah trotzdem erleichtert aus. Warum auch nicht. Ich hatte ihr gerade meinen Freund überlassen. Ihren Freund. Ganz plötzlich war ich nicht einmal sicher, ob er je mein Freund gewesen war.
Das alles war ihr ebenso klar wie mir. Sie blickte mich von oben bis unten prüfend an. Vermutlich um herauszufinden, wo wir jetzt standen.
Ich wusste es selbst nicht genau.
»Frohe Weihnachten, Helen«, sagte ich leise. Dann ging ich ins Haus, um meinen Mantel zu holen.
Kapitel 19
Zum ersten Mal seit Jahren, vermutlich zum ersten Mal, seit ich mit achtzehn zum College gegangen war, freute ich mich darauf, an Weihnachten in mein Elternhaus fliehen zu können. In Boston war alles irgendwie außer Kontrolle geraten, und dagegen ging ich am besten vor, indem ich mich mit dem Essen meiner Mutter vollstopfte, das sich mit voller Absicht weder um Atkins noch um Ernährungspyramiden scherte.
Was ich mit solcher Hingabe tat, dass ich tagelang kaum an etwas anderes dachte, außer vielleicht an meinen zunehmenden Hüftumfang. Aber dafür hatte ich ja Trainingshosen mitgebracht.
Die Dinge, über ich nicht nachdachte, waren unter anderem:
Nate Manning und sein verschwörerisches Lächeln. Dieses Lächeln, das jeden mit ihm in den Abgrund riss, weil es einem vermittelte, etwas Besonderes zu sein.
Amy Lees beredtes, niederschmetterndes Schweigen.
Helen Fairchild, die mir Dinge entgegengeschleudert hatte, die ich nicht einfach ignorieren konnte, sosehr ich es auch versuchte. Ich konnte auf ihr ganzes Superfrau-Getue pfeifen, aber ich konnte schlecht über die Tatsache hinwegsehen, dass wir seit immerhin gut zehn Jahren doch irgendwie Freundinnen waren.
Die Art und Weise, wie Henry mich auf der letzten Party angesehen hatte, als ob ich für ihn eine große Enttäuschung sei. Als ob er überhaupt nie gewusst hätte, dass er vorher absolut tabu gewesen war. Und das tat mir weh.
Mein Mangel an emotionaler Reife und vor allem Amy Lees wenig charmante Art, mich darauf hinzuweisen.
Nate, Helen, Henry und ich; mein Viereck der Lächerlichkeit.
Außerdem ging meine Familie offensichtlich davon aus, dass ich gerade »etwas durchmachte«, und fasste mich deshalb nur mit Samthandschuhen an, was mich wieder an meine Teenagerzeit erinnerte. (Immerhin gefielen allen ihre Geschenke, was ich als Pluspunkt für mich verbuchte.)
Nach ein paar Tagen verlor der übermäßige Verzehr von Plätzchen in den kurzen Intervallen zwischen drei üppigen Mahlzeiten
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