Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)
»Mein Vater. Das Tattoo auf der Brust meiner Mutter, das seinen Puls angezeigt hat, hat noch pulsiert. Er ist am Leben. Irgendwo da draußen.«
»Pressia …« Bradwell steht auf und stellt sich vor den Tisch, der sie voneinander trennt.
»Ich weiß, ich weiß.« Pressia wandert mit dem Messer zum Hackklotz. »Die Chancen, ihn zu finden, stehen unglaublich schlecht. Aber du wolltest eine Antwort, und das ist meine Antwort.« Sie ist überrascht, dass sie all das ausgesprochen hat. Es hatte sich in ihrem Hinterkopf festgesetzt – wie lange schon? –, doch sie wollte es nicht zugeben, nicht mal vor sich selbst, weil es ihr zu egoistisch, zu kindisch vorkommt. Sie legt das Messer weg.
Bradwell stemmt die Knöchel auf den Tisch und beugt sich zu ihr. Seine Augen wirken müde wie eh und je, doch er scheint durch den Nebel der Erschöpfung zu spähen, um sie klarer zu sehen. Vielleicht, um sie wenigstens jetzt zu durchschauen. »Was den Traum angeht, irrst du dich.«
»Wirklich? Was meinst du?«
»Ich will nicht mitkommen, weil ich dich immer noch beschützen will. Wegen irgendeinem alten Versprechen.«
»Warum dann?«
»Ich will mitkommen, weil …« Er beugt sich weiter vor. »Pressia. Weil ich …«
»Hör auf«, unterbricht sie ihn. »Es ist Selbstmord, hier draußen Gefühle für jemanden zu haben.«
»Vielleicht bin ich lebensmüde.«
Ihr Herz klopft so laut, dass sie die Hand auf die Brust presst, um es zu beruhigen. Sie starrt ihn an und weiß doch nichts zu sagen.
Da entspannt sich sein Gesicht. Er hebt den Finger. »Das ist er«, flüstert er. »Ganz genau.«
»Was?«
»Der Blick, den du mir im Traum zugeworfen hast. Der undurchschaubare Blick.«
PARTRIDGE
Grossartige Barbarei
Bis auf das Kratzen der Käfer im Terrarium ist es still. Partridge bringt keinen Ton heraus, so unfassbar erscheint ihm dieser Verrat. Er hat die Gutenachtgeschichten all die Jahre geglaubt. Und später, außerhalb des Kapitols, hat er gedacht, sein Vater und ein paar andere höhergestellte Typen hätten alle anderen hinters Licht geführt. Doch sie wussten es schon immer, all die Menschen, die vor den Explosionen alt genug waren, um sich ins Kapitol zu mogeln – seine Lehrer und Trainer, der Friseur, die Frauen, die jede Woche das Apartment putzten, die Labortechniker, die Aufsichtspersonen im Wohnheim. »Alle?«, stößt er hervor.
»Alle.«
Partridge schüttelt den Kopf. Sein Plan war, den Menschen die Wahrheit zu sagen, damit sie sich für ein besseres Leben entscheiden können. Das wird nicht funktionieren. »Aber wie ist das möglich? Wie können die Leute noch in den Spiegel schauen?«
»Viele können es nicht. Deshalb mussten wir den Selbstmord salonfähig machen, was übrigens ein sehr praktischer Weg war, die Bevölkerungszahl stabil zu halten. Jeder Selbstmord schafft einen Platz für ein Baby – ein Baby, das die Wahrheit nie erfahren muss, dem man die neue Wahrheit einflößen kann.«
Partridge kneift die Augen zusammen. »Sie wussten es … schon immer …«
»Es wird keine Revolution geben, Partridge. Die, die den Aufstand hätten anführen können, wurden schon vor den Bombenangriffen ermordet oder sind währenddessen ums Leben gekommen.« Partridge denkt an Bradwells Eltern. »Bis auf ein paar wenige.«
»Cygnus.«
»Wir standen unter der Führung deiner Mutter. Wir waren weder die Härtesten noch die Tapfersten. Dafür waren wir in der Lage, ein Doppelleben zu führen, die Wahrheit zu kennen und trotzdem weiterzumachen. Wir haben überlebt. Wir sind nicht viele, aber wir werden stärker und mutiger.« Glassings stützt die Ellenbogen auf die Knie. »Partridge.« Seine Stimme klingt so feierlich, dass Partridge schon weiß, was kommt – gleich wird er ihm etwas Schreckliches sagen, das sein Leben für immer verändern wird. Etwas Unfassbares hängt zwischen ihnen in der Luft und wirft seinen Schatten auf Glassings’ Gesicht. »Ich muss dir was …«
»Moment noch.«
Partridge will nicht viel – nur noch ein paar Minuten mit Glassings, hier in dieser Kammer wie Vater und Sohn. Er will es noch ein bisschen hinauszögern. »Erzählen Sie mir erst von den Käfern. Nur von …«, flüstert er und verschränkt die zitternden Hände. »… den Käfern. Eins nach dem anderen.«
»Na gut«, beginnt Glassings. »Wir haben Tausende Insekten ausgeschickt, unter anderem Käfer – lauter kleine, ferngesteuerte Cyborgs, die uns Informationen liefern.«
»Können sie zurückverfolgt
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