Menschen und Maechte
Menschenrechte in Europa betraf, und über die sonstigen in Helsinki zu behandelnden politischen Fragen gab es zwischen Washington und Bonn keine zu Buche schlagenden Differenzen.
Präsident Fords zweitägiger Staatsbesuch in Bonn Ende Juli 1975, also unmittelbar vor Helsinki, wurde deshalb zu einem glänzenden Erfolg für beide Seiten. Fords außenpolitische Erklärungen zu Berlin und zur gemeinsamen Verteidigung Europas, die er in einem kleinen hessischen Ort vor Truppen beider Staaten abgab, erlaubten keinerlei Zweifel an Amerikas Festigkeit. Was wir gemeinsam zu Helsinki und der wünschenswerten KSZE-Schlußakte sagten, bestätigte jedermann, daß die bundesdeutsche CDU/CSU-Opposition völlig isoliert war, als sie die Helsinki-Schlußakte als unzureichend ablehnte. Aber auch sonst waren wir ein großes Stück weitergekommen.
Ford wohnte, wie fast alle hohen Staatsgäste, auf Schloß Gymnich in der Nähe der Bundeshauptstadt; die offiziellen Gespräche wurden im Palais Schaumburg in Bonn geführt, in dem seit Adenauer alle Bundeskanzler residiert hatten (der Umzug in das neue Bundeskanzleramt fand erst ein Jahr später statt). In meinem Arbeitszimmer hing ein gutes und zugleich menschlich eindrucksvolles Bebel-Porträt aus dessen letztem Lebensjahr, das mir Alfred Nau geschenkt hatte. In der Unterhaltung über den großen sozialdemokratischen Führer, über die Geschichte des Allgemeinen
Deutschen Arbeitervereins und die Entwicklung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zeigte sich der amerikanische Außenminister zu meiner Überraschung bestens orientiert; der amerikanische Präsident wiederum hatte ein sehr detailliertes Bild von Bebels großem Gegenspieler Bismarck. Bei Kissinger, der zur intellektuellen Ostküsten-Elite zählte und obendrein in Deutschland geboren war, konnte man deutsche Geschichtskenntnisse voraussetzen; bei Jerry Ford hingegen erschienen sie mir ungewöhnlich. Bei keinem seiner beiden Nachfolger habe ich eine solche Vertrautheit mit der Geschichte meines Landes gefunden.
Beim abendlichen Zusammensein kam das Gespräch auch auf die Malerei des deutschen Expressionismus und besonders auf Emil Nolde. Hitler hatte fast alle Expressionisten in Acht und Bann getan, ihre Bilder aus den Museen entfernt, vernichten lassen oder auf ausländischen Auktionen verschleudert. Mehrere Expressionisten waren mit Ausstellungsverbot belegt worden, anderen war überhaupt untersagt worden, weiterhin zu malen. Beeinflußt durch die Kunsterziehung an der Lichtwark-Schule in Hamburg war ich seit meiner Jugend vom deutschen Expressionismus begeistert; mein Enthusiasmus hat sich im Laufe des Lebens eher noch gesteigert. Durch die von Hitler veranlaßte Ausstellung »Entartete Kunst« war ich 1937 als Achtzehnjähriger vollends von der Abartigkeit des Nationalsozialismus überzeugt worden. Als Bundeskanzler nutzte ich jede Möglichkeit, den Expressionisten im Bewußtsein sowohl der Deutschen als auch des Auslandes zu ihrem wohlverdienten Durchbruch zu verhelfen, denn noch immer spielten sie – im Vergleich etwa mit den französischen Fauves – in der Welt nur eine untergeordnete Rolle. Deshalb habe ich auch den Neubau des Bundeskanzleramtes mit expressionistischen Kunstwerken ausgestattet, was ausländischen Besuchern immer Anlaß zum Gespräch gab.
So auch Ford und Kissinger. Wir unterhielten uns über die Unterbewertung Noldes auf dem amerikanischen Kunstmarkt; Kissinger regte an, durch eine zusammenfassende Ausstellung in den USA der amerikanischen Öffentlichkeit einen ersten grundlegenden Überblick über den deutschen Expressionismus zu verschaffen. Eine solche Schau ist dann tatsächlich 1981 im Guggenheim-Museum
zustande gekommen; inzwischen sind auch, wie das Gästebuch zeigt, viele Amerikaner zur Noldestiftung nach Seebüll gepilgert, ein paar Kilometer südlich der deutschdänischen Grenze.
Bundespräsident Walter Scheel lud Ford und Kissinger zu einer Fahrt auf dem Rhein ein, an der neben prominenten Gästen aus Europa eine ganze Kompanie amerikanischer Journalisten teilnahm. Es war ein schöner Sommerabend, Tausende von Menschen umlagerten die Anlegestellen, die Weinkönigin von Linz bot den Fords einen Pokal guten Weines. Später die nächtliche Silhouette des Siebengebirges, vielerlei Lichter auf dem Rhein, Gespräche über vielerlei Gegenstände, auch über Adenauer (»Da drüben im Dunkeln liegt Rhöndorf; dort hatte er sein Haus. Deshalb ist Bonn Hauptstadt geworden«). Betty Ford hatte
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