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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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aber er wollte die Anstrengungen in dieser Richtung angesichts der Gefahr steigender Arbeitslosigkeit nicht übertreiben. Währungspolitisch kamen sich Paris und Washington entgegen, wenngleich ohne konkrete Ergebnisse; immerhin wurde damit ein wichtiges Hindernis für die Reform der Statuten des IWF und für den bevorstehenden Nord-Süd-Dialog aus dem Wege geräumt.
    Trotz deutlicher Zurückhaltung des japanischen Ministerpräsidenten Miki schieden wir voneinander in dem Bewußtsein, daß die Wirtschaftskrise, die inzwischen alle Länder erfaßt hatte, uns nicht wie die Krise in den frühen dreißiger Jahren zu einem handels-und währungspolitischen Kampf aller gegen alle verleiten dürfe. Jeder hatte die strategische Bedeutung vernünftiger, auf die internationalen Zusammenhänge Rücksicht nehmender ökonomischer Maßnahmen begriffen und wußte, daß alle anderen Teilnehmer das genauso sahen. Unsere Außen- und Finanzminister hatten daran mitgewirkt, daß es zu dieser Atmosphäre des Vertrauens gekommen war; keiner hatte den Medien zu Hause irgendwelche Tataren-Nachrichten für innenpolitische Zwecke zuspielen lassen; und alle hatten abermals eine zielsichere und gelassen auftretende amerikanische Staatsführung erlebt. In meinen Augen wog dies alles weit mehr als das Fehlen präziser Vereinbarungen, mit denen ich ohnehin nicht gerechnet hatte; im Gegenteil: wir hatten im voraus die Erwartungen soweit wie möglich heruntergespielt. Ein
Dreivierteljahr später gab es – der zeitliche Abstand war ein wenig zu kurz – ein zweites Treffen dieser Art in Puerto Rico, wozu Jerry Ford eingeladen hatte; zum ersten Mal wurde auch Kanada hinzugezogen, und Pierre Trudeau zeigte sich als ein produktiver Gesprächspartner. Auch dieses zweite Treffen – mit dem die Gipfeltreffen zu einer Institution wurden – war in dem Sinne erfolgreich, daß alle Teilnehmer sich einig waren, die Strukturkrise der Weltwirtschaft werde sich nur gemeinsam bewältigen lassen.
    Während der folgenden Treffen ging der intime Charakter bald verloren. Gleichwohl haben diese Gipfel noch immer einen hohen politischen Wert: Sie ermöglichen einen relativ zwanglosen akute Probleme, und sie wecken Verständnis füreinander, vor allem bei neu ins Amt kommenden Staats- und Regierungschefs. Dabei ermöglichen sie eine realistische Einschätzung des künftigen Verhaltens der anderen Führungspersonen, und, als wichtigstes, sie stärken das Vertrauen von Person zu Person. »Staaten haben Interessen«, so heißt es, und das ist auch zutreffend. Aber ihre Interessen werden von Menschen an der Spitze interpretiert und verfolgt, und verschiedene Menschen an der Spitze desselben Staates tun dies auf sehr verschiedene Weise. Deshalb ist es nützlich, einander gut zu kennen. Deshalb ist auch die häufig nachgedruckte Floskel falsch, wonach ein internationales Treffen nur dann sinnvoll sei, wenn vorher feststehe, daß »etwas dabei herauskommt«.
    Die drei großen Gipfelkonferenzen des Jahres 1975 – im Mai im Rahmen der Allianz in Brüssel, im Juli/August anläßlich der KSZE-Konferenz in Helsinki und im November in Rambouillet – zeigten den Westen in meinen Augen auf einem Höhepunkt der Einigkeit. Es gab keinen Zweifel über die gemeinsame »Grand Strategy«, es kam zu keinen gegenseitigen Verbitterungen und Verdächtigungen, und es bestand Vertrauen in eine maßvoll ausgeübte amerikanische De-facto-Führung, die darauf verzichtete, ihre Rolle öffentlich auszuspielen.
    Dies alles ging nach dem nächsten Präsidentenwechsel in Washington zwar nicht völlig verloren, aber es zerbröckelte. Wenn Valéry Giscard d’Estaing, Jim Callaghan und ich uns noch heute ab und zu auf Jerry Fords Einladung in Vail in den Bergen Colorados
treffen, so kann sich abends beim Whisky das Gespräch von den aktuellen Problemen der Zeit ab- und nostalgisch der Mitte der siebziger Jahre zuwenden. Etwas wehmütig – und zugleich leicht überheblich – kann dann einer von uns sagen: »Natürlich war die Welt damals besser regiert als heute.« Und die übrigen nehmen das, wie es gemeint ist: cum grano salis; einer sagt dann »Cheers!«, erhebt sein Glas, und man prostet sich zu.
    Das Ende der Ära Nixon-Ford-Kissinger war zugleich, das kann man heute klar erkennen, das Ende jener erfolgreichen Phase der Gesamtstrategie des Westens, wie sie zehn Jahre zuvor, im Dezember 1967, von Pierre Harmel in dessen Bericht über die »Zukünftigen Aufgaben der Allianz« formuliert worden war.

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