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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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November 1975 löste er ihn durch Donald Rumsfeld ab.
    Ford und seine Berater Kissinger, Rumsfeld und Scowcroft (der im November 1975 Nachfolger Kissingers als Sicherheitsberater geworden war, damit sich dieser ganz auf das State Department konzentrieren konnte) hatten sich bei der Beendigung des Devisenausgleichs als verständnisbereite Partner erwiesen. Gerade weil sie die amerikanische Führungsrolle nicht öffentlich im Munde führten, konnten wir leicht die weitgehende Führungsrolle anerkennen, welche die USA tatsächlich ausübten. In allen wesentlichen Fragen der Weltpolitik, ob sie China betrafen oder den Nahen und Mittleren Osten, die westliche Gesamtstrategie gegenüber der Sowjetunion oder unser aller Verhalten in der weltwirtschaftlichen Strukturkrise, immer stimmten wir entweder ohnehin überein, oder wir waren zumindest imstande, ein ausreichendes Maß von Übereinstimmung zu erarbeiten. Dies galt für das Verhältnis zwischen Washington und den Regierungen der europäischen Partnerstaaten im allgemeinen, es galt besonders für das deutsch-amerikanische Verhältnis.
    Eine Meinungsverschiedenheit ergab sich im November 1975 anläßlich der Finanzkrise der Stadt New York. Diese amerikanische Metropole, ein Zentrum des privaten Kreditgewerbes und der Aktienbörsen der ganzen Welt, zugleich eine Industrie-, Handels-, Gewerbe- und Dienstleistungszusammenballung und eine kulturelle
Hauptstadt der amerikanischen Zivilisation, sie war häufig nahe der Grenze der Unregierbarkeit. Höchster Reichtum und millionenfache Armut, ja schreiendes Elend liegen hier dicht nebeneinander. Wenn ich New Yorks Probleme sah, so kamen mir alle Sorgen der europäischen Oberbürgermeister immer vergleichsweise gering vor.
    Von Fiorello La Guardia bis zu Edward Koch habe ich die Männer bewundert, die es fertigbrachten, eine solche Stadt halbwegs anständig und erfolgreich zu verwalten; im Vergleich dazu ist die anständige Verwaltung meiner Vaterstadt Hamburg höchstens ein Gesellenstück. Die Wirtschaftskrise, die sich von 1974 an in steigender Arbeitslosigkeit auswirkte, brachte fast alle großen Städte der Welt in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten; denn die Ausgaben für Sozialleistungen wuchsen schnell, nicht aber die Steuereinnahmen. New York City aber geriet in eine besonders schwere Haushaltskrise.
    Wieweit die Stadt New York schon vorher über ihre Mittel hinaus gewirtschaftet hatte, konnte ich nur ahnen. Aber die im Sommer und Herbst 1975 kursierenden Gerüchte über ihre angeblich bevorstehende Zahlungsunfähigkeit und die öffentlichen Kontroversen über die Notwendigkeit einer Finanzhilfe durch die Regierung in Washington, die angeblich verweigert wurde, beunruhigten mich. Denn ein finanzieller Kollaps New Yorks konnte leicht zum Muster für andere hochverschuldete Großstädte werden – und keineswegs bloß für amerikanische Metropolen. Ein Zusammenbruch der Kurse von kommunalen Anleihen konnte nach Europa und in andere Erdteile überschwappen, zumal er von einem Finanzzentrum der Welt ausgehen würde; schließlich hatten beinahe alle Riesenstädte der Welt über ihre Verhältnisse gelebt.
    Die Stadt, ihre politischen Vertreter, der Gouverneur des Staates New York und die demokratische Opposition im Kongreß setzten den republikanischen Präsidenten unter Druck, zumal bereits der Staat New York in Mitleidenschaft gezogen wurde. Auch Ford fürchtete einen Modellfall, freilich mit anderen Vorzeichen, nämlich eine lange Reihe weiterer Städte, die im Falle einer Hilfe für New York gleiche Ansprüche stellen würden. Er machte es deshalb
zur Bedingung, daß die Stadtregierung gegen die Unzahl der Pressure-groups zunächst Haushaltseinsparungen durchsetzte und damit die Voraussetzungen für eine dauerhafte finanzielle Gesundung schuf. Dies entsprach im Prinzip meinen eigenen Denkgewohnheiten. Dennoch durfte es zu keiner Zahlungsunfähigkeit kommen, davon war ich überzeugt.
    Anfang Oktober 1975, auf dem Wege nach Washington, wurde ich während einer Pressekonferenz in New York nach meiner Meinung gefragt. Ich machte den Fehler, die Fragen zu beantworten. Meine Antworten wurden von den New Yorker Medien als Kritik an der Haltung des Präsidenten interpretiert. Als ich zwei Tage später zu Gerald Ford kam, hatte ich ein schlechtes Gewissen; denn was immer ich zur Sache gesagt hatte, im Grunde hätte ich mich auf eine öffentliche Diskussion innerer Probleme des Gastlandes überhaupt nicht einlassen dürfen. Der

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