Menschen und Maechte
für den geplanten Langstreckenbomber B 1 zugunsten einer Modernisierung der vorhandenen B-52-Bomber. Wie fundiert auch immer seine Entscheidung gegen die Planung der Nixon-Ford-Administration gewesen sein mochte, Carter erwarb sich damit im eigenen Lande den Ruf – den er nicht wieder losgeworden ist –, zu »weich« gegenüber der Sowjetunion zu sein. Seine SALT-Verhandlungsposition wurde durch den Verzicht auf B 1 tatsächlich geschwächt, da die Sowjets sich mit dessen Einführung bereits abgefunden hatten. Hinzu kam, daß für die Wiederaufnahme der SALT-Verhandlungen nicht einmal ein Termin vereinbart worden war.
Angesichts dieser verfahrenen Lage hatten die Europäer im Laufe des Jahres 1977 genügend Zeit, sich über die in Washington angestellten Überlegungen zu SALT II besser zu informieren und sie zu analysieren. Im Laufe dieser Analyse wurde mir deutlich, daß die Carter-Administration – im Gegensatz zu Gerald Ford – nicht daran dachte, die von den Sowjets seit einiger Zeit mit relativ hohen monatlichen Stückzahlen in Stellung gebrachten eurostrategischen Mittelstreckenraketen SS 20 und die Backfire-Bomber in die angestrebten Begrenzungen der strategischen Waffen einzubeziehen. Sie war nur bereit, die auf Langstreckenflugzeuge gestützten Cruise Missiles zu begrenzen; auch die lediglich auf europäische Ziele gerichteten sowjetischen Cruise Missiles empfand man in Washington nicht als Bedrohung.
Meine Besorgnis über dieses Verhandlungskonzept brachte ich zunächst in sehr zurückhaltender Form zum Ausdruck. Mir war anfangs nicht klar, ob hinter dieser Vernachlässigung der sowjetischen Aufrüstung auf dem Felde der nuklearen Mittelstrekkenwaffen, die fast ausschließlich auf Westeuropa und damit hauptsächlich auf Ziele in der Bundesrepublik gerichtet waren, vor allem die Besorgnis stand, daß andernfalls auch ein Teil der in Europa stationierten amerikanischen nuklearen Waffen in die Verhandlungen einbezogen werden würden, oder ob es sich um eine Rücksichtnahme auf die französischen und englischen Mittelstreckenwaffen handelte. Einige Europäer hatten den Verdacht, mit der Weigerung, die auf europäische Ziele gerichteten Mittelstreckenwaffen in die Verhandlungen einzubeziehen, verfolge Washington die Absicht, allein die strategische Bedrohung des amerikanischen Territoriums zu verringern und sich dabei nicht von Rücksichtnahmen auf europäische Sicherheitsinteressen stören zu lassen. Mir erschien eine Mischung aller drei Motive wahrscheinlich. Die zunehmend brüske Zurückweisung meiner Argumente verstärkte jedoch meinen Eindruck, daß der dritte Beweggrund in der Tat der ausschlaggebende war.
Im Laufe des Jahres 1977 habe ich dem Präsidenten wie auch mehrfach seinem Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski meine Besorgnisse persönlich dargelegt. Als ich Carter Mitte Juli 1977 in Washington besuchte, konnte ich ihm – nach vorangegangenen Unterhaltungen mit Tito, Kádár und Gierek – berichten, wie sehr auch die kommunistischen Führer in Osteuropa auf Breschnews Entspannungswillen setzten und wie genau sie darüber unterrichtet waren, daß keineswegs alle Mitglieder des Politbüros im Kreml diesen Willen teilten. Ich riet Carter, Leonid Breschnew einen Informationsvorsprung gegenüber seinen Kollegen zu verschaffen. Als sich Carter zum Beispiel entschlossen hatte, die innen- und außenpolitischen Risiken seiner B-1-Entscheidung auf sich zu nehmen, hätte er das vorher Breschnew mitteilen können.
Carter räumte ein, daß seine Politik von den Sowjets bisher nicht verstanden werde; er fragte mich, ob ich es für möglich hielte, daß der sowjetische Botschafter in Washington, Dobrynin, nicht akkurat nach Moskau berichte. Ich wies darauf hin, daß dessen Berichte gewiß durch das Moskauer Außenministerium laufen müßten, wo alle Berichte zusammengefaßt und bewertet würden, ehe sie Breschnews Schreibtisch erreichen, sofern sie überhaupt an die Spitze gelangen. Es sei deshalb zweckmäßig, wenn der amerikanische Präsident und der sowjetische Generalsekretär einen sehr persönlichen Kontakt miteinander pflegten. Carter schien diese Anregung aufgreifen zu wollen; aber bis zum Schluß seiner Amtsperiode hat es kein beständiges persönliches Verhältnis zwischen Carter und Breschnew gegeben. Man schwankte zwischen Mißtrauen (1977), Bruderküssen (1979 in Wien) und bitteren Vorwürfen (ein Jahr später).
Abb 13 Bundeskanzler Helmut Schmidt dirigiert im Weißen Haus in
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