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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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Ferngespräch und noch ausführlicher auf diplomatischem Wege über den Verlauf von Breschnews Besuch in Bonn unterrichtet, der an diesem Tage beendet worden war. Vom 11. bis 13. Dezember hatte ich Erich Honecker in der DDR getroffen. Es gab also vielerlei Gesprächsstoff; die Ereignisse in Polen bildeten für den amerikanischen Präsidenten jedoch bei weitem das wichtigste Thema. Das lag zum einen an dem beträchtlichen Anteil amerikanischer Staatsbürger polnischer Abstammung; vor allem aber hatte das Fernsehen mit seiner Berichterstattung aus Danzig und Warschau eine heftige Erregung der ganzen amerikanischen Nation ausgelöst.
    Die ganze amerikanische Administration vom Präsidenten angefangen bis zur UNO-Botschafterin Jeane Kirkpatrick, viele Senatoren, auch viele Zeitungen hatten die Emotionen hochgetrieben. Reagan hatte eine Reihe von handelspolitischen Sanktionen gegen die Sowjetunion und ein Embargo gegen die Volksrepublik Polen verhängt und erwartete, daß sich die europäischen Verbündeten daran beteiligten. Aber diese Verbündeten hatte er zuvor nicht konsultiert und nur ganze sechs Stunden vorher informiert – genauso wie weiland Carter. Gleichzeitig hatte sein Außenminister jedoch deutlich gemacht, daß Reagan nicht daran dachte, den Meinungsaustausch mit Moskau oder die Genfer Rüstungsbegrenzungsverhandlungen abzubrechen oder auch nur zu unterbrechen. Auch hatte Reagan keineswegs im Sinn, etwa zu Lasten der amerikanischen Farmer der Sowjetunion die dringend benötigten amerikanischen Getreidelieferungen zu verweigern, die er ja im Frühjahr 1981 selbst wieder aufgenommen hatte. Reagans handelspolitische Reaktionen auf die Proklamation des Kriegsrechtes durch Jaruzelski, der als Handlanger Moskaus gesehen und dargestellt wurde, blieben von so beschränkter Reichweite, daß sie lediglich pseudopolitischen, symbolischen Charakter hatten. Gegenüber dem amerikanischen Fernsehpublikum stellte Washington seine Maßnahmen freilich als einen Schritt von strategischer Bedeutung dar; der Präsident sagte öffentlich, das ganze westliche Bündnis müsse Moskau eine »fühlbare Antwort« geben, und vom deutschen Bundeskanzler erwartete man, daß er den übrigen europäischen Verbündeten darin beispielhaft vorangehe.

    Abb 28 Bei seinem ersten offiziellen Besuch Reagans Ende Mai 1981 hatte Schmidt noch fest an dessen Willen zu Rüstungskontrollverhandlungen mit Moskau geglaubt.
    Abb 6 Auf Reagans Zusicherungen war jedoch, wie sich bald herausstellen sollte, wenig Verlaß. Ein halbes Jahr später, im Januar 1982, war die Ausrufung des Kriegsrechtes in Polen das für Reagan bei weitem wichtigste Thema.

    Mir war zunächst unklar, ob die Aufgeregtheit in Washington nach einiger Zeit kühleren Überlegungen weichen und abklingen werde oder ob eine Eskalation ins Haus stand. Immerhin grenzte die Emotion Amerikas an Hysterie. So schrieb zum Beispiel das »Wall Street Journal« am 4. Januar 1982, dem Tage meiner Ankunft in Washington, jetzt sei die Zeit für mich gekommen, Position zu beziehen; und wörtlich: »Schmidts Stellung zu Moskau läßt eine demoralisierte Führerschaft erkennen, deren optimale Vorstellung von der Zukunft Westdeutschlands diejenige eines finnlandisierten Vasallen eines totalitären Reichs ist.« Und ein anderer wirrköpfiger Kommentator warnte: »Kein neues München!«
    Weil weder die Politiker noch die Redakteure der Zeitungen und Fernsehketten in den USA europäische Zeitungen lesen, waren ihnen meine Bundestagsrede vom 18. Dezember und die Bundestagsentschließung vom gleichen Tage unbekannt geblieben. Der Bundestag hatte – in Übereinstimmung mit der Bundesregierung – zwei Wochen vor meinem Eintreffen in Washington nach der Debatte einstimmig eine Entschließung an die Adresse der polnischen Militärregierung Jaruzelski gerichtet, in der er »die Freilassung aller Inhaftierten« verlangte, ebenso die »Wiederherstellung der durch einen Reform-und Erneuerungskurs erreichten Freiheiten … [und] Wiederaufnahme des Dialogs mit den reformwilligen patriotischen Kräften des polnischen Volkes«. Der Bundestag hatte die Verletzung der Helsinki-Schlußakte sowohl durch die polnische Militärregierung als auch durch die Sowjetunion angeprangert und deren »offene oder versteckte Gewaltandrohungen gegen die polnische Unabhängigkeit von außen« festgestellt. Der Bundestag hatte außerdem unsere staatliche Wirtschaftshilfe an Polen suspendiert, solange »die Unterdrückungsmaßnahmen des

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