Menschen und Maechte
vielerlei Antilopenarten. Beim Picknick in der Wildnis stahl ein Milan Karl Klasen das Brot aus der Hand.
Auf dem Rückflug geriet unser kleines einmotoriges Propellerflugzeug in ein Hagelgewitter. Es prasselte auf Kabinendach und Tragflächen, und es war nichts mehr zu sehen; die Blitze erhellten lediglich die Wolkentürme, in denen wir hin und her geworfen wurden. Natürlich gab es weder Radar noch Funkfeuer, wohl aber im Sekundentakt ein lautes »Piep piep« von einem Gerät im Armaturenbrett. Auf die Frage nach der Bedeutung dieses Signals sagte der Pilot: »Wir verlieren an Höhe.« Er hatte vollkommen die Orientierung verloren; die Bergkanten des ostafrikanischen Grabens waren in unmittelbarer Nähe, und jeder hatte Angst, wir würden gleich gegen einen Berg rasen. Den Funkverkehr des Piloten mit dem Tower in Nairobi konnten wir mithören; der Tower sprach ihm beruhigend zu und gab ihm Ratschläge. Als wir schließlich unversehrt in die Helligkeit des Tages zurückkehrten und uns Nairobi näherten, sagten ihm die Leute auf dem Tower: »Very, very fine.« Dies fanden wir selbst auch, und nach der Landung bedankten wir uns voller Freude über die Rettung mit Whisky und Planter’s Punch. Ein paar Jahre später hörten wir, unser Pilot sei abgestürzt.
Die Nairobi-Tagung vereinigte fast alle internationalen Freunde im gleichen Hotel – und abends in der gleichen Bar. Die währungspolitischen Wirren lagen hinter uns, der Ölpreisschock war noch nicht zu erkennen; wir waren fröhlich und genossen die heitere Stimmung. Es war die angenehmste internationale Konferenz, die ich je erlebte. Natürlich gingen wir zum Abschluß auch noch für eine Nacht in die Tree-Tops-Lodge und beobachteten aus der Höhe die Elefanten; nach den beschwingten Tagen von Nairobi erinnerte mich der Anblick dieser Dickhäuter an die erste europäische Gipfelkonferenz, die ich miterlebt hatte.
Am Ende hatten wir alle gelernt, daß wir uns auf das Wort des Kollegen verlassen konnten, über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg. Daraus sind persönliche Freundschaften entstanden: zwischen Giscard und mir, zwischen Giscard und Shultz, zwischen
Shultz und mir – auch Freundschaft mit Fukuda, dem späteren japanischen Premierminister, und mit Anthony Barber, dem britischen Chancellor of the Exchequer, der leider bald die internationale Szene verließ und als Banker in London in die Privatwirtschaft ging.
In dieser Zeit wurde George P. Shultz mein engster Freund in den USA. In unserem jetzt fünfzehn Jahren dauernden Meinungsaustausch habe ich gewiß häufig ein Wort mehr gesagt, als unbedingt nötig gewesen wäre. Shultz sagte eher ein Wort weniger. Er war ein exzellenter Zuhörer, kommentierte aber das Gesagte mit fundiertem kritischen Urteil. Wir waren ungefähr gleichzeitig Finanzminister geworden und hatten beide zu jener Zeit schon beträchtliche Regierungserfahrung. Shultz war bereits Arbeitsminister und Chef des Amtes für Verwaltung und Haushalt (Office of Management and Budget, OMB) im Weißen Haus gewesen; davor hatte er die Administrationen Eisenhowers, Kennedys und Johnsons beraten. Er hatte eine glänzende akademische Laufbahn als Wirtschaftswissenschaftler hinter sich; dennoch stand auch er mit dem Wegfall des Systems von Bretton Woods vor einer völlig neuen ökonomischen Aufgabe – wie wir anderen auch. George ist wie ich ein überzeugter Anhänger der Marktwirtschaft und des Freihandels und ein Gegner inflationistischer ökonomischer Politik; dies verbindet uns.
Intellektuell und politisch ist er unbestechlich. Allerdings war seine Loyalität zu Nixon noch größer als seine herausragende Urteilskraft. Auch ein Jahrzehnt später, als Außenminister Reagans, sollte seine Loyalität gegenüber dem Präsidenten seine oberste Richtschnur sein. Als Nixon gegen Shultz’ Rat Preis- und Lohnkontrollen verhängte, rief Shultz mich an, um mich vorab über diese Entscheidung zu informieren: »Helmut, ich brauche dir ja nicht zu erklären, daß dies gegen meine Überzeugung und gegen meine Empfehlungen geschieht.« Als Shultz jedoch im Zusammenhang mit Watergate das Ausmaß der Verfehlungen seines Präsidenten begriffen hatte, zog er im März 1974 die Konsequenz und erklärte seinen Rücktritt, der im Mai angenommen wurde. Fast gleichzeitig schieden auch Giscard d’Estaing und ich als Finanzminister aus
dem Amt. Schon ein Jahr darauf, als wir den ersten sogenannten Weltwirtschaftsgipfel von Rambouillet vorbereiteten, trafen wir drei
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