Midnight Breed - Alles über die Welt von Lara Adrians Stammesvampiren
Gideon ausfindig zu machen. Oh, sie erinnerte sich gut an den großen blonden Mann in schwarzem Leder, der gestern Abend nach Savannah gefragt hatte.
»So einer ist schwer zu übersehen«, hatte sie gesagt, das Understatement des Jahres. »Nicht direkt unser typischer Leser.«
Nein, Gideon hatte überhaupt nichts Typisches an sich. Außer der Tatsache, dass er ein Mann war und offenbar gut darin, Frauen ins Gesicht zu lügen. Denn als sie Mrs Kennefick gefragt hatte, ob sie ihm ihre Adresse gegeben hatte, hatte die Frau das entschieden bestritten.
»Nein, natürlich nicht, Liebes. Heutzutage kann man doch nicht vorsichtig genug sein. Aber er hat mir gesagt, er sei ein Freund von Ihnen. Ich hoffe, ich habe nicht meine Kompetenzen übertreten, als ich ihm sagte, Sie hätten sich krankgemeldet.«
Savannah hatte ihrer freundlichen alten Vorgesetzten versichert, dass sie nichts falsch gemacht hatte, aber innerlich hatte sie eine Woge des Zweifels überkommen. Gideon war ihr suspekt geworden. Wenn Mrs Kennefick ihn nicht zu ihrer Wohnung geschickt hatte, wie hatte er sie gefunden? Und warum ließ er sie in dem Glauben, dass er mit ehrlichen Mitteln an ihre Adresse gekommen war?
Nichts ergab mehr einen Sinn für sie. Plötzlich kam ihr alles und jeder verdächtig vor, und ihre ganze Welt schien endgültig aus den Fugen zu geraten.
Was sie brauchte, war eine ordentliche Dosis Zuhause, damit sie wieder einen klaren Kopf und ihr Leben auf die Reihe bekam. Damit alles wieder Sinn machte. Sie sehnte sich nach Amelies gutem Essen und ihrer warmen, weichen Umarmung.
Wenn nur dieser verdammte Bus endlich käme.
Zwanzig Minuten Verspätung schon. Draußen vor dem Bahnhof war es eben dunkel geworden. Die Bahnhofshalle war voller abendlicher Pendler, die zu ihren Zügen und Bussen eilten, während durch offene Türen Abgaswolken hereinquollen und die Deckenlautsprecher unverständliche Ankündigungen quäkten.
Die Pendler waren so plötzlich verschwunden, wie sie gekommen waren, und Savannah blieb mit ein paar weiteren Nachzüglern zurück, um eine gefühlte Unendlichkeit lang auf irgendein Zeichen zu warten, dass sie heute Abend noch aus diesem Bahnhof wegkam. Sie stand mit einem tiefen Gähnen auf, gerade als die Lautsprecher wieder knarzten und eine unverständliche Durchsage zum Bus nach Louisiana kam.
Savannah packte ihren Koffer und rannte zu einem der Schalter hinüber. »Ich habe die Ansage eben nicht verstanden. Haben sie durchgesagt, wie lange es noch dauert, bis man in den Bus nach New Orleans einsteigen kann?«
»Zehn Minuten.«
Endlich. Gerade noch Zeit genug, um aufs Klo zu gehen, und dann wäre sie endlich unterwegs. Savannah dankte der Frau am Schalter und ging zur Damentoilette weiter oben im Bahnhof, den Koffer in der Hand. Mit dem sperrigen Gepäckstück kam sie nur unbeholfen vorwärts. So unbeholfen, dass sie bei der Reihe von Toiletten und öffentlichen Münzfernsprechern fast über den riesigen, gestiefelten Fuß eines Obdachlosen gestolpert wäre, der in der dunklen Nische direkt vor dem Eingang der Damentoilette saß.
»Entschuldigung«, murmelte sie, als sie erkannte, dass sie ihn angerempelt hatte.
Er schien sich nichts daraus zu machen. Oder vielleicht registrierte er sie gar nicht, war weggetreten oder schlief. Der Mann in dem zerschlissenen Navy-Kapuzen-Sweatshirt und den dreckigen Arbeitshosen hob nicht einmal den Kopf. Savannah konnte sein Gesicht nicht sehen, nur seine langen, fettigen Haarsträhnen, die ihm von der niedrigen Stirn bis übers Kinn hingen.
Savannah packte ihren Koffer fester, ging um seinen reglosen Körper herum und betrat die Toilette.
Gideon wusste, dass Savannah nicht zu Hause war, noch bevor er an ihre Tür klopfte. Drinnen war alles dunkel und still. Und auch kein verräterischer Schimmer ihrer Energie drang durch die Wände, als er mit seiner Gabe nach ihr suchte.
»Scheiße.«
Vielleicht hätte er es zuerst in der Bücherei versuchen sollen. Aber noch während er überlegte, wie schnell er es quer durch die Stadt schaffen würde, um dort nach ihr zu suchen, ergriff ihn eine ungute Vorahnung.
Savannah würde doch Boston nicht verlassen haben … oder doch?
Das hatte sie jedenfalls letzte Nacht vorgehabt. Er hatte gedacht, er hätte sie überzeugt, hierzubleiben und sich von ihm helfen zu lassen, aber was hatte er ihr schon Handfestes gegeben? Einen heißen Kuss und ein vages Versprechen, dass er irgendwie, auf wunderbare Weise, alles wiedergutmachen
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