Mindhunter - Tödliche Gabe (German Edition)
hatte Nika äußerst unwirsch vom Tisch zu ihr aufgeblickt, während der Arzt – groß und dunkel und merkwürdig vertraut – sie gescannt hatte, als wollte sie sagen, es sei alles Annas Schuld.
Aber dann veränderte sich der Traum, und plötzlich war sie Nika, und der Tisch, auf dem sie lag, wurde zu einem Krankenhausbett mit Fesseln, mit denen sie an Armen und Beinen festgebunden war. Die weiße Bettdecke, die über sie geworfen worden war, war mit schrecklichen Blutspritzern befleckt, bei deren Anblick es ihr immer noch vor Angst und Entsetzen den Atem verschlug. Ihr linker Arm brannte und pochte vor Schmerz, und sie bemerkte, dass ihr eine Art medizinischer Port gelegt worden war, der Zugang zu ihrer Vene gewährte. An dem Port war ein Schlauch befestigt, der in einen Beutel führte, der sich langsam mit ihrem Blut füllte, während ihr Herz weiterhämmerte.
Um sie herum schrien und weinten andere Mädchen, die meisten wesentlich jünger. Sie waren alle an Betten wie ihr eigenes gefesselt, und es waren ungefähr zwanzig in dem Raum.
Ein schwer vernarbter Mann lief im Raum herum und steckte Schläuche an die Ports an den Armen der restlichen Mädchen. Er trug einen blutverschmierten weißen Laborkittel und hatte ein chirurgisches Messer in der Hand. Er benutzte es nicht nur, um den Mädchen zu drohen oder ihnen Angst einzujagen. Gelegentlich stach er zu und schlitzte bei einem Mädchen das Fleisch auf, und das Blut spritzte nur so, was seine Drohungen für die anderen noch viel wirkungsvoller machte.
Aber nicht alle Mädchen schrien. Eines, ihr Name war Zooey, mehrere Betten weiter, sah nur schweigend zu, ausdruckslos, mit leeren Augen. Der Mann blieb stehen, und die Mädchen um sie herum schrien, als versuchten sie sie anzustacheln, aber sie rührte sich nicht, sagte nichts und wandte ihren Blick nicht von irgendeinem unsichtbaren Punkt an der gegenüberliegenden Wand ab. Und schließlich ging der Mann weiter.
Er durchquerte den Raum zweimal – einmal, um die leeren Beutel anzubringen, und dann noch mal, als sie mit Blut gefüllt waren, um sie einzusammeln, die Schläuche zu entfernen und die Stöpsel wieder in ihre Ports zu stecken.
Aber bei Zooey entfernte er weder den Schlauch, noch steckte er den Stöpsel wieder rein. Er ließ ihn offen, und das Blut lief und durchtränkte das Laken, das ihre Beine bedeckte.
Nika rechnete damit, dass er zu dem Mädchen zurückkehrte, vor allem, als sie wach zu werden schien und zu weinen und stöhnen begann, aber er tat es nicht. Er verließ den Raum, ohne sich umzublicken, und knallte die Tür entschlossen hinter sich zu.
»Hilfe, bitte helfen Sie mir«, schluchzte Zooey, doch der Mann war weg.
Dann weinten alle Mädchen, und Nika rief über ihre Stimmen hinweg: »Klemm den Schlauch ab! Du kannst ihn mit derselben Hand erreichen. Greif einfach danach und bieg ihn um, dann hört das Blut auf zu fließen! Komm schon, Zooey, tu es!«
Und endlich hörte Zooey sie, aber genauso wie Nika war sie benommen – durch den Schlafmangel, weil sie ständig von dem schrecklichen Narbenmann aufgeschreckt wurden, durch den Blutverlust und den Nahrungsmangel.
Es war schrecklich, dazuliegen, gefangen und hilflos, während die Kräfte des kleinen Mädchens verebbten und sie schließlich einschlief, völlig erschöpft. Nika versuchte, sie durch Rufe und Schreie zu wecken, aber da war Zooey schon bewusstlos, und es gab keine Chance mehr, sie zu retten, nichts, was sie tun konnte, außer zuzusehen, wie das Blut auf den Boden tropfte und tropfte und tropfte, während die anderen Mädchen um sie herum weiterweinten.
Nika musste eingedöst sein, denn sie schreckte auf, als die anderen Mädchen wieder schrien, und sah, dass der Mann mit dem narbigen Gesicht schließlich wieder ins Zimmer gekommen war.
Hoffnung keimte auf, als er zu Zooeys Bett ging, aber es war nicht, um ihren Schlauch zu entfernen und ihren Port zu verschließen, sondern um ihre Fesseln zu lösen, und als er sie hochhob, fiel ihr Kopf schlaff nach hinten. Und Nika erhaschte einen albtraumhaften Blick auf das kleine, blasse Gesicht des Mädchens, das mit weit aufgerissenen Augen ins Nichts starrte, bevor der Mann ihren leblosen Körper in eine Mülltonne warf.
Und er nahm sein Messer heraus und fragte: »Will noch jemand mit dem Müll rausgebracht werden?«, während er sich langsam um sich selbst drehte und jede von ihnen ansah.
Er blickte Nika an, vielleicht, weil sie nicht schrie, vielleicht, weil aus ihren Augen
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