Miss Emergency, Band 4: Miss Emergency , Operation Glücksstern (German Edition)
unbedingt ganz vorne sitzen, direkt vor Tobias, und nicht ganz hinten, damit er nicht denkt, dass ich jetzt irgendwelche Umgangs-Scheu habe. Aber alles andere ist mir wirklich recht.)
Als Tobias den Raum betritt, sucht er nicht zuerst meinen Blick. Das kommt mir gelegen, denn ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht, ob ich ihm besser direkt in die Augen schaue – oder gerade nicht. Aber trotzdem bleibe ich absolut gelassen.
Tobias spricht über Herz-Kreislauf-Erkrankungen und in meinem Kopf sagt es die ganze Zeit: »Es ist vorbei, es ist vorbei, es ist vorbei.«
»Woran denken Sie, wenn ein Patient ohne bekannte Herzkrankheit und ohne kardiovaskuläre Risikofaktoren über Herzrasenklagt, das plötzlich beginnt und ebenso plötzlich endet?«, fragt er und ich denke »Es hat weder plötzlich begonnen, noch plötzlich geendet. Aber es ist vorbei. Kein Herzrasen mehr. Die Patientin wird entlassen«.
Es fühlt sich gut an, sicher. Ich bin darüber hinweg.
Und er ist es auch.
Er hat noch nicht einmal hergesehen, zumindest nicht länger, nicht mit mehr als einem Vorbei-Schweif-Blick, wenn er die Gruppe der Studenten überschaut. Auf seiner Stirn zeigt sich eine strenge Falte, das ist sein ernstes Das-ist-mir-wichtig-Gesicht. Ich glaube, fast alle seine Mienen zu kennen. Und nun muss ich sie nicht mehr deuten.
Das ist vielleicht das erste Mal, dass ich mit ihm in einem Raum bin, ohne mich komisch zu fühlen. Oder ohne mich zu fragen, was er denkt. Ohne weiche Knie. Das erste Mal, dass sich nicht alles um ihn dreht. Okay, dafür müsstest du nur noch aufhören, darüber nachzudenken, dass es nicht mehr um ihn geht.
Aber auch das ist kein Problem. » Alex, Alex, Alex« , denke ich konzentriert. »Was immer du machst, du wirst perfekt sein.« Und dann: »Ben-ja-min Blüm-chen, wir sa-gen Hal-lo!«
»Fräulein Weissenbach?« Tobias. Verdammt. Was hat er gefragt?
»Wir fragen uns, was wird wohl heut geschehn?«, spielt das blöde Lied in meinem Kopf weiter. »Benjamin Blümchen, deine Welt ist schön!« Raus! Hier werden ernsthafte medizinische Fragen gestellt! Die ich unbedingt beantworten muss!
»Kannstkönnen Sie die Frage noch mal …?« Jetzt hätte ich ihn beinahe geduzt. Dabei ist es peinlich genug nachzufragen. Weil man an einen sprechenden Elefanten gedacht hat. Um nicht an die strengen Stirnfalten des Dozenten zu denken.
»Der Patient muss am Kniegelenk operiert werden. Ich wollte wissen, welcher präoperativen Maßnahmen es bedarf«, wiederholt Tobias ohne jede Regung. Okay, das weiß ich. Ich kann darauf antworten. Sofort. Aufklärungsgespräch, Überprüfen der Blutwerte und Gerinnung. Röntgen-Thorax, EKG. Moment, da war doch noch irgendwas …
Los jetzt, Lena! Du kannst nicht 30 Minuten darüber nachdenken, dass er dich überhaupt nicht mehr nervös macht – und dann bei seiner ersten Frage fahrig losstottern.
Ich zähle also alles auf, was mir eingefallen ist, und verdränge das Da-fehlt-doch-was-Gefühl. Weil eine entschiedene Antwort tausendmal besser ist als unsicheres Gestotter, auch wenn sie nicht GANZ richtig sein sollte. Und weil ich mir doch fast sicher bin, dass ich an alles gedacht habe.
Er sieht mich an, ruhig. Und nickt. Geschafft. Ich lächle, lächle ihn an. Ein Wir-sind-beide-prima-Ärzte -Lächeln. Ein Ich-hoffe-wir-können-tolle-Arztfreunde-sein -Lächeln. Und er lächelt zurück. Hurra, Lena. Ihr werdet diese beiden sagenumwobenen Ärzte sein, die in stiller Eintracht gemeinsam Leben retten und sich in ruhigen Momenten amüsiert und friedlich-harmonisch-zufrieden daran erinnern, dass es da irgendwann mal ein Gefühlschaos gab, das beinahe ernste Schwierigkeiten gemacht hätte … und die dann zueinander sagen: »Wie gut, dass das damals nichts wurde, sonst wären wir sicher heute nicht so gute Freunde.« Hurra!
»Und dann lassen Sie ihn verbluten?«, fragt Tobias und sieht mir gerade in die Augen.
Moment, was soll das?! Erwachsene-Ärztin-Zukunfts-Lena tritt ihrem Möchtegern-Arztfreund gegen das Schienbein und sagt: »Hau ab und sei mit jemand anderem harmonische Freunde! Dass du mir damals vor allen diese fiese Frage gestellt hast, habe ich dir bis heute nicht verziehen!«
Leider kommt Zukunfts-Lenas Abfuhr entweder nicht durch die Zeiten bei ihm an … oder es ist ihm ganz egal und er WILL überhaupt nicht mit mir zukunfts-befreundet sein. Er steht jedenfalls immer noch da und schaut fragend. Okay, Lena. Zeig's ihm! Lass dich nicht vorführen!
Gute Vorsätze,
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