Mission Munroe. Die Sekte
wirklich etwas an Hannah lag, für jeden, der ihre Wahrheit wirklich sehen wollte, war sie offensichtlich.
Das Pochen in Munroes Kopf wurde immer heftiger. Das Messer, das vor ihr lag, bot sich an, als verführerischer Weg zur Erlösung. Munroe bekämpfte den Drang. Bekämpfte die Wut. Rang um Konzentration. »Ich muss mal auf die Toilette«, sagte sie.
»Den Flur entlang und dann die erste Tür links«, sagte Morningstar. Sie hatte ihren Satz nicht einmal beendet, da war Munroe schon unterwegs.
In der Toilette angekommen ließ Munroe den Hinterkopf mit Wucht gegen die Wand sinken. Den Blick zur Decke gewandt, so stand sie da, atmete tief ein, ohne das Brennen in ihrem Inneren stillen zu können. Die Gier nach Blut war körperlich spürbar, rein und unverfälscht. Die Rachsucht. Der Drang, Vergeltung zu üben und Verfehlungen zu korrigieren, die niemals hätten begangen werden dürfen. Sie hatte eigentlich jede Gewalt vermeiden wollen, hatte bis zur Nacht warten und Hannah dann still und heimlich mitnehmen wollen, aber das konnte sie nicht. Ihr Kopf
schlug gegen die Wand, leise, aber stetig. Rumms, rumms, rumms. Kann nicht, kann nicht, kann nicht.
Und dann fiel das lodernde Feuer, die außer Kontrolle geratene Wut, in sich zusammen und verwandelte sich in einen glühenden Strahl äußerster Konzentration. Munroe ging zurück in Richtung Küche und betrat den Flur, der in die Eingangshalle führte. Sie würde sich eine Waffe schnappen und Hannah mitnehmen, dann hatte sie es hinter sich. Fünf Minuten. Sollten die anderen den entstandenen Schaden beheben. Und was Heidi, Gideon und Logan betraf – verdammte Scheiße, sie hatte es versucht. Sie hatte es wirklich versucht. Herzliches Beileid die Konsequenzen betreffend.
Sie schlich an der Küche vorbei und näherte sich dem Foyer, aber als sie bei der Treppe war, blieb sie abrupt stehen.
Fünf Männer und drei ERWÄHLTE Frauen kamen soeben aus dem ersten Stock nach unten. Dass Munroe stehen blieb, lag nicht an der Zahl der anderen oder daran, dass ihre Chancen sich verschlechtert hätten. Sie konnte die Ranch zusammen mit Hannah verlassen, ganz egal, wie ungleich das Zahlenverhältnis war, vorausgesetzt, dass Verletzte und Tote dabei in Kauf genommen wurden. Sie blieb stehen wegen der Männer. Das waren die Besucher, die Besitzer der schwarzen Limousinen draußen auf dem Parkplatz.
Sie trugen maßgeschneiderte Anzüge und teure Schuhe, und bei dreien zeigte sich eine unauffällige Beule im Jackett, an einer Stelle, wo eigentlich keine Beule sein durfte. Die drei Frauen waren besser gekleidet und weitaus gepflegter als alle anderen ERWÄHLTEN , denen Munroe bisher begegnet war. Sie umschwärmten die beiden Männer
in der Mitte, die höchstens Anfang vierzig waren und aussahen wie Brüder. Sie lächelten, flirteten, scherzten und ahnten nichts von Munroes Anwesenheit, bis sie die letzten Treppenstufen hinter sich gelassen hatten.
Wie in Zeitlupe stellte sich das Bild scharf. Körperhaltung. Körpersprache. Anordnung. Ausstrahlung. Das waren Geschäftsleute, sicherlich, aber sie waren mehr als das. Munroe hatte oft genug mit Gestalten aus der Unterwelt Geschäfte gemacht, um Korruption schon von Weitem zu erkennen, und das, was sie hier sah, war Korruption in Reinkultur. Zwei Typen mit Leibwächtern und Kurtisanen aus dem Fundus der ERWÄHLTEN – die Erklärung für die relativ neuen Möbel und Kleinbusse der Ranch.
Das Grüppchen befand sich jetzt im Erdgeschoss, genau zwischen Munroe und der Tür. Sie hatten keine Eile, vielleicht hatten sie nicht einmal ein bestimmtes Ziel. Sie blieben im Flur stehen. Als sie ihr Gespräch für einen kurzen Moment unterbrachen, ging Munroe weiter. Sie wich weit nach rechts aus, um sich an ihnen vorbeischieben zu können.
Als einer der beiden Bosse die Hand nach ihr ausstreckte, musste sie stehen bleiben. Er kam spielerisch, aber gleichzeitig besitzergreifend auf sie zu, als hätte er irgendwie das Recht, sie zu berühren. »Hallo, Schönheit«, sagte er. Munroe schlug seine Hand beiseite, so schnell und plötzlich, dass es außer ihm und seinem Leibwächter niemand mitbekam.
Sie hatte gehandelt, ohne nachzudenken. Ihr Verstand und ihre Logik wurden von Emotionen übermannt, aber der Schock verschaffte ihr wieder Klarheit. Als die anderen sich umdrehten, um zu sehen, wen er da angesprochen hatte, nahm sie eine demütige Haltung ein und wechselte
übergangslos von einer Rolle in die andere. Nun blickte sie ihn unter
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