Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
in den Bergen, zusammen mit einem Haufen hiesiger Mädchen. Das hier ist jetzt die Fortsetzung.
    In letzter Zeit geht mir der Gedanke nicht aus dem Kopf daß, ich weiß auch nicht … wie die Leute so arbeiten, von früh bis spät, irgendwie verrückt ist. Haben Sie das noch nie komisch gefunden? Ich meine, ich tu hier nichts als die Arbeit, die mir meine Bosse geben, und tu sie so, wie sie mir sagen, daß ich sie tun soll. Ich brauche überhaupt nicht nachzudenken. Es ist so, als würde ich mein Gehirn vor Arbeitsbeginn im Spind einschließen und nach Feierabend wieder rausholen. Ich sitz sieben Stunden am Tag an einem Werktisch und knüpfe Haare in eine Stoff-Kopfhaut, dann eß ich in der Cafeteria zu Abend, geh in die Wanne, und schlafen muß ich natürlich wie jeder andere auch, und so bleibt mir von den vierundzwanzig Stunden des Tages praktisch so gut wie nichts übrig. Und weil ich von der Arbeit so kaputt bin, verbringe ich das bißchen » Freizeit « , das ich hab, damit, daß ich völlig groggy rumliege. Ich hab überhaupt keine Zeit, mich hinzusetzen und über was nachzudenken. Natürlich brauche ich am Wochenende nicht zu arbeiten, aber dann muß ich Wäsche waschen und mein Zimmer putzen, eben alles tun, was ich die Woche über hab liegenlassen, und manchmal fahr ich in den Ort, und eh man sich ’s versieht, ist das Wochenende schon wieder rum. Ich hatte mir mal vorgenommen, Tagebuch zuführen, aber ich hatte nichts zu schreiben, da hab ich ’s nach einer Woche wieder gesteckt. Ich meine, ich tu einfach nur immer wieder das gleiche, tagein, tagaus. Aber trotzdem - aber trotzdem - stört’s mich nicht im allergeringsten, daß ich jetzt nur Teil der Arbeit bin, die ich tue. Ich fühle mich nicht im mindesten meinem Leben entfremdet. Wenn überhaupt, dann hab ich manchmal sogar das Gefühl, daß ich dadurch, daß ich mich so auf meine Arbeit konzentriere, mich mit der geistlosen Entschlossenheit einer Ameise konzentriere, Schritt für Schritt näher an mein » wirkliches Ich « herankomme. Ich weiß nicht, wie ich ’s sagen soll, aber es ist, als käme ich durch dieses Nicht-über-mich-selbst-Nachdenken näher an den Kern meines Ichs heran. Das war’s, was ich mit » irgendwie verrückt « gemeint habe.
    Ich bringe alles, was ich habe, in diesen Job ein. Ich will nicht protzen, aber ich bin einmal sogar » Arbeiterin des Monats « geworden. Ich hab’s Ihnen ja gesagt, ich seh vielleicht nicht danach aus, aber ich bin wirklich gut in Handarbeit. Bei der Arbeit tun wir uns in Teams zusammen, und jedes Team, bei dem ich bisher mitgemacht hab, hat seine Produktion gesteigert. Ich helf zum Beispiel den langsameren Mädchen, sobald ich meinen Teil der Arbeit erledigt habe, und so Sachen. Deswegen bin ich jetzt bei den anderen Mädchen beliebt. Können Sie sich das vorstellen? Ich, beliebt! Wie auch immer, was ich Ihnen nur sagen wollte, Mister Aufziehvogel, ist, daß ich von meinem ersten Tag in dieser Fabrik an nichts anderes getan hab als arbeiten, arbeiten, arbeiten. Wie eine Ameise. Wie der Dorfschmied. Hab ich mich soweit klar ausgedrückt?
     
    Wie auch immer, der Raum, wo ich eigentlich arbeite, ist echt verrückt. Er ist riesig, wie ein Hangar, mit einem großen, hohen Dach und überall offen. Hundertfünfzig Mädchen sitzen da aufgereiht und arbeiten. Ist schon ein Bild für die Götter. Natürlich hätten die nicht unbedingt so eine Mammuthalle hinzustellen brauchen. Wir bauen schließlich keine U-Boote oder sonstwas. Die hätten uns genausogut in getrennten Räumen unterbringen können. Aber vielleicht haben sie gedacht, es würde unser Zusammengehörigkeitsgefühl stärken und unsere Unternehmenstreue steigern, wenn sie so viele Leute in einem einzigen Raum arbeiten lassen. Oder vielleicht ist es so auch nur für die Bosse bequemer, weil sie uns mit einem Blick allesamt im Auge behalten können. Ich wette, die wenden bei uns dingsbums-psychologische Methoden an. Wir sind in Teams eingeteilt, und jedes sitzt um einen Werktisch von der Sorte wie die, an denen man im Biounterricht Frösche seziert, und eines der älteren Mädchen sitzt als Teamchefin am Kopfende. Man darf reden, solange man die Hände in Bewegung hält (ich meine, man kann einfach nicht den ganzen Tag lang nur dasitzen und pfriemeln und die Klappe halten), aber wenn man zu laut redet oder lacht oder sich zu sehr auf die Unterhaltung konzentriert, dann kommt die Teamchefin rüber und runzelt die Stirn und sagt: » Okay, Yumiko, und

Weitere Kostenlose Bücher