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Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge

Titel: Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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Plastik eingegossen war. »Ich hab Henry angerufen und ihm erzählt, dass ihr heute Hochzeitstag habt.«
    »Ach, wie lieb«, sagte Ann. Und fügte hinzu: »Hochzeitstage sind was Schönes. So eine kleine Gelegenheit zum Innehalten und Nachdenken.«
    »Ich fand vor allem die Geschenke gut«, sagte Olive.
     
    Während sie hinter ihrem Sohn und seiner riesigen Frau herging, die zusammen den riesigen Zwillingswagen schoben, dachte Olive an Henry, der jetzt wahrscheinlich schon im Bett lag; sie legten sie nach Möglichkeit noch früher schlafen als kleine Kinder. »Ich hab heute mit deinem Vater telefoniert«, sagte sie, aber Christopher hörte sie offenbar nicht. Er und Ann waren ins Gespräch vertieft, die Köpfe einander zugeneigt, während sie gemeinsam den Kinderwagen schoben. Lieber Gott, doch, sie war froh, dass sie Henry nicht verlassen
hatte. Kein anderer hätte ihr ein so lieber, treuer Freund sein können wie ihr Mann.
    Und trotzdem - die Erinnerung kam ihr, als sie nun hinter ihrem Sohn an der Ampel wartete -, trotzdem hatte sie mitunter eine so abgrundtiefe Einsamkeit empfunden, dass ihr einmal, vor gar nicht so vielen Jahren, mitten in einer Kariesbehandlung die sanfte Berührung des Zahnarztes, der ihr Kinn zu sich herdrehte, als eine Zärtlichkeit von fast schmerzhafter Intensität erschienen war, so dass sie hart schlucken musste und plötzlich Tränen des Verlangens in den Augen hatte. (»Geht’s, Mrs. Kitteridge?«, hatte der Zahnarzt gefragt.)
     
    Ihr Sohn warf einen Blick über die Schulter, und sein frohes Gesicht spornte sie wieder neu an, obwohl sie wirklich erschöpft war. Die jungen Leute machten sich einfach nicht klar, dass man irgendwann in ein Alter kam, wo man nicht mehr morgens, mittags und abends in der Gegend herumsausen konnte. Sieben Akte umfasste ein Menschenleben, hieß es so nicht bei Shakespeare? Das Alter allein umfasste ja schon sieben Akte! Und zwischendurch betete man darum, im Schlaf sterben zu dürfen. Aber sie war froh, dass sie nicht gestorben war; hier war ihre Familie - und hier war die Eisdiele, mit einer freien Sitzecke gleich ganz vorn. Olive sank dankbar auf das rote Polster.
    »Halleluja«, sagte sie. Aber die anderen hörten sie nicht. Sie waren zu beschäftigt damit, die Kinder loszuschnallen, die Kleine in einem Hochstuhl unterzubringen, Theodore auf einem eigenen Stuhl, der bis ganz vor zur Tischkante gerückt wurde. Anns Bauch war so dick, dass sie nicht zwischen Bank und Tisch passte, also musste sie mit Theodore Platz tauschen, der aber nicht auf die Bank wollte und erst folgte, als Christopher die schmalen Handgelenke des Kindes mit
einer Hand umfasste, sich zu ihm vorbeugte und gedämpft sagte: »Sitz.«
    Ein leises Unbehagen regte sich in Olive. Aber das Kind saß. Artig sagte es, dass es ein Vanilleeis wolle. »Christopher war immer so artig«, sagte sie zu ihm. »Sogar Fremde haben mich auf meinen höflichen kleinen Sohn angesprochen.« Wechselten Christopher und Ann einen Blick? Nein, sie machten sich gerade ans Bestellen. Es schien Olive unfasslich, dass das, was da in Anns Bauch heranwuchs, Henrys Enkelkind sein sollte, aber so konnte es gehen.
    Sie bestellte sich einen Karamell-Eisbecher.
    »Das giltet nicht«, sagte Theodore. »Ich will auch einen Eisbecher.«
    »Na gut, von mir aus«, sagte Ann. »Welche Sorte?«
    Der Kleine guckte gequält, als würde die Antwort sein Begriffsvermögen übersteigen. Dann ließ er den Kopf auf die Arme sinken und sagte: »Mit Vanille.«
    »Dein Vater hätte einen Rootbeer Float bestellt«, sagte Olive zu Christopher.
    »Nein«, sagte Christopher. »Ein Erdbeereis.«
    »Unsinn«, sagte Olive. »Einen Rootbeer Float.«
    »Das will ich - Rootbeer Float«, sagte Theodore und hob den Kopf wieder. »Was ist das?«
    Ann sagte: »Das ist, wenn man jede Menge Rootbeer in ein Glas kippt und dann Vanilleeis darin schwimmen lässt.«
    »Das will ich.«
    »Es wird ihm nicht schmecken«, sagte Christopher.
    Und er behielt recht. Theodore fing nach wenigen Bissen zu heulen an und sagte, es wäre ganz anders, als er gedacht hatte. Olive dagegen aß ihren Karamellbecher mit dem größten Appetit, Löffel für Löffel, während Ann und Christopher darüber diskutierten, ob man Theodore erlauben sollte, sich etwas Neues zu bestellen, oder nicht. Olive gab keinen Kommentar
ab, registrierte jedoch, dass Christopher sich durchsetzte.
    Auf dem Heimweg hielt ihre Energie länger vor, fraglos dank der Eiskrem. Und weil Chris diesmal an

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