Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
Abschaffung vieler Straßenschilder.
Es lohnt sich, zumindest darüber nachzudenken.
Das ökonomische Modell von Becker unterliegt freilich auch Beschränkungen, weil es von rational handelnden Menschen ausgeht. Wenn jeder Mensch rational agieren würde, dann müssten Casinos und Lottoanbieter schließen, weil es mathematisch meist völlig unsinnig ist, Roulette oder »6 aus 49« zu spielen. Es würde auch niemand betrunken ins Auto steigen, weil er wüsste, dass die Risiken einer schweren Verletzung viel zu hoch sind, um sich nicht ein Taxi zu leisten. Dennoch tun es viele Menschen.
Einige Verbrechen wie Beleidigung oder Körperverletzung finden im Affekt statt, gegen jegliche Vernunft. Deshalb muss bei der Analyse von Verbrechen und Ordnungswidrigkeiten das ökonomische Modell zwar eine Rolle spielen, man sollte aber auch psychologische und soziologische Aspekte berücksichtigen.
Eine effektive Form der Verbrechensbekämpfung wäre also nicht unbedingt, noch mehr Verbote zu erlassen – sondern einfach, Straftaten so unrentabel wie möglich zu machen.
Das sollte das Ziel der Politik sein: nicht durch Aktionismus im Wahlkampf punkten wollen, sondern Probleme an der Wurzel bekämpfen – und dafür sorgen, dass Verbrechen so unrentabel wie möglich werden.
Und wir alle sollten uns überlegen, ob sich Verbrechen wirklich lohnt – nicht nur für uns, sondern auch für unsere Mitmenschen. Ob wir wirklich Geld sparen, wenn wir Steuern hinterziehen – oder ob es nicht sinnvoller wäre, die Steuererklärung ehrlich zu machen und langfristig durch die daraus resultierenden Erleichterungen mehr Geld auf dem Konto zu haben. Ob es nicht lohnenswerter wäre, keine Handtücher und Bademäntel aus Hotelzimmer zu klauen und dafür weniger für eine Übernachtung zu bezahlen. Ob es nicht rentabel ist, aufs Schwarzfahren zu verzichten, weil dann die Preise gesenkt werden könnten und es weniger Kontrollen bräuchte.
Wir dürfen immer eine Entscheidung treffen. Wir dürfen das Gesetz brechen, wenn wir bereit sind, die Konsequenzen zu tragen: Wem es wert ist, die Strafe dafür zu bezahlen, der wird weiter zu schnell fahren. Wer 800 Euro übrig hat, der darf einen anderen Menschen »Vollidiot« nennen. Wer es riskieren möchte, ins Gefängnis zu kommen, der kann eine Bank überfallen.
Oder wir hören einfach auf damit.
Wie das geht, hat meine Frau bewiesen: Sie hat mich gezwungen, das gesparte Geld in Geschenke für sie und unseren Sohn zu investieren. Weil es sich für mich persönlich nicht mehr lohnt, schwarzzufahren, kaufe ich mir ein Ticket, das überall gültig ist. Allerdings, das muss ich zugeben, sind wir mittlerweile in eine Wohnung gezogen, die am Rand des zweiten Rings liegt. Verbrechen lohnt sich für mich also nicht mehr.
Kapitel 11
Die Abmahner
Es gibt einen genialen Sketch von Gerhard Polt: Er spielt einen Kleinbürger, der sich über die Firma Ismayer beschwert. Es geht um einen Leasingvertrag für ein Auto. »Dieser Al Capone, dieser Kretin«, echauffiert er sich. »jetzt nehme ich mir den besten Advokaten und führe einen Prozess, dass die Funken spritzen!« Er sagt zum Richter: »Das darf doch nicht wahr sein, dass ein Mensch, der sich immer anständig aufgeführt hat, der nicht einmal einen Strafzettel bekommen hat, dass man den mit einem Leasingvertrag drankriegt!« Da sagt der Richter: »Doch, das geht!«
Der Vortrag Polts ist lustig, weil er wahr ist: Wir kümmern uns kaum um das Gesetz, solange wir nicht damit in Berührung kommen. Justitia ist, gemalt von Lucas Cranach dem Älteren und Giotto und Raffael, eine nette Frau mit Waage und Augenbinde, die milde lächelt und bei der weder Palmzweig noch Schwert bedrohlich wirken.
Irgendwann kommen wir mit dem Gesetz in Berührung – und wollen nicht glauben, dass wir die ganze Zeit falsch lagen. Dann durchlaufen wir wie Polt vier der fünf Stufen der Trauer: Nicht-wahrhaben-Wollen (»Das kann doch nicht sein, dass ich einen Leasingvertrag unterschrieben habe!«), Wut (»So ein Mensch, der gehört angekettet!«), Verhandeln (»Natürlich bin ich hingegangen und habe gesagt: ›Mit dem Leasingvertrag, da haben wir doch einen Fehler gemacht!‹«) und Depression (»Das darf doch nicht die Wahrheit sein!«). Die fünfte Stufe, das Akzeptieren, wird erst nach dem Durchlaufen des Privatfernsehen-Nachmittagsprogramm-Lebenszyklus erreicht. Der geht so:
Es beginnt mit einer Klage gegen das eigene Dasein: »Siehst du, immer erwischt es mich!« Das lässt sich
Weitere Kostenlose Bücher