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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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fragt Lea.
    »Mein Sohn«, antwortet er. »Entschuldige, ich hatte mich mit ihm zum
iChat verabredet. Völlig vergessen. Es ist Jonathan. Sei mir nicht böse, bleib so
liegen, ich bin gleich wieder da. Es dauert nicht lang, bleib einfach so liegen.
Sorry. Sorry. Sorry.«
    19
    »Leg dein Nintendo weg!« Sylvie hat es jetzt fünf Mal gesagt.
Endlich legt Jonathan das Spiel mit demonstrativem Stöhnen beiseite.
    Jonathan ist geduscht, trägt seinen dunkelblauen Pyjama [420]  und die Pantoffeln, die sie letztes Jahr auf einem deutschen Weihnachtsmarkt
für ihn gekauft hat.
    Sie hat ihren Sohn an ihr Notebook gesetzt und gesagt: »So, jetzt reden
wir mit Papa. Das ist wichtig. Wir werden ihn auch sehen. Das magst du doch, Jonathan,
oder?«
    Manchmal kann er sich nicht auf seinen Vater konzentrieren und nimmt
mitten im Gespräch sein Nintendo, um weiter Mario Bros zu spielen.
    Während die Verbindung sich allmählich aufbaut und sie darauf wartet,
Rolands Stimme zu hören, mahnt Sylvie ihren Sohn: »Jetzt sag aber auch mal was zu
Papa. Nicht immer nur gucken, auch reden, was erzählen.«
    Endlich hört sie die Stimme ihres Ex.
    »Hallo, Papa«, sagt Jonathan.
    Die Verbindung ist relativ gut, vor allem der Ton. Manchmal hinkt das
Bild etwas hinterher und ruckelt, aber das ist nicht weiter schlimm.
    »Hallo, mein Lieber«, hört sie.
    »Warum hast du nichts an?«, fragt ihr Sohn.
    Sie beugt sich vor, um besser sehen zu können. Ihr Ex, obwohl sie ihn
nur bis zu den Brustwarzen sieht, scheint in der Tat nackt zu sein.
    »Mir ist warm«, sagt Roland.
    »Papa«, fragt Jonathan, »magst du nackte
Mädchen?«
    Bevor ihr Ex etwas erwidern kann, reißt sie ihren Sohn vom Bildschirm
weg und setzt sich selber davor.
    »Roland«, sagt sie, »was soll das? Warum bist du nackt? Bist du krank?
Bei euch ist es mitten am Tag!«
    »Ich habe Besuch«, sagt er, »soll ich mir
ein Handtuch umhängen?«
    [421]  »Nicht nötig, jetzt ist es zu spät. Wer ist da bei dir zu Besuch?«
    »Lea. Ein Notfall. Sie braucht mich.«
    »Roland«, sagt Sylvie, »wir waren verabredet! Wann nimmst du dir endlich
Zeit für deinen Sohn? Er braucht dich. Er ist auch ein Notfall, verdammt noch mal.«
    Sie sieht, wie Roland nah an den Bildschirm herankommt, er flüstert: »Ich hab ihr gesagt, ich bin kein lebender Dildo,
aber sie wollte nicht hören. Zum Glück versteht sie uns nicht. Ich will die Leute
glücklich machen. Jedenfalls manche, das ist das mindeste, was ich versuchen kann.«
    »Aber du machst die Leute nicht glücklich!«, ruft
Sylvie. »Du machst sie unglücklich. Mich hast du auch unglücklich gemacht.«
    »Nein«, sagt Roland. »Das stimmt nicht. Das ist nur der zweite Teil der
Geschichte. Erst hab ich dich glücklich gemacht. Und dann vielleicht unglücklich.
Warum musst du immer mit dem Ende anfangen? Warum machst du immer alles so schlecht?
Konzentrier dich doch mal auf Teil eins, den, in dem ich dich glücklich gemacht
habe.«
    »Roland«, sagt Sylvie, »hast du nun Zeit, mit deinem Sohn zu reden oder
nicht? Ich hab keine Lust auf diese Art Diskussionen.«
    »Können wir’s nicht auf morgen verschieben? Morgen früh habe ich eine
Vorlesung, Adam Smith, und am Nachmittag noch eine, wir können in der Mittagspause
zusammen sprechen, dann lass ich den Lunch einfach mal ausfallen. Sagen wir, bei
euch um halb sieben? Okay?«
    »Ich hab ja wohl keine Wahl, oder? Wie ist die Stimmung bei euch?«
    [422]  »Die Stimmung?«
    Sie sieht, wie Roland ratlos um sich blickt.
    »Es sind doch Wahlen?!«
    »Ach so, natürlich, die Wahlen. Die Leute sind prächtiger Stimmung, völlig
elektrisiert. Gib mir kurz noch mal Jonathan.«
    Sie nimmt ihren Sohn, der sich mit seinem Nintendo aufs Sofa verzogen
hat, und setzt ihn wieder an den Bildschirm.
    »Hallo, Jonathan«, sagt sein Vater, »morgen reden wir länger, versprochen!
Du bist der schönste, liebste, intelligenteste Junge, den ich kenne. Und pass schön
auf in der Schule. Lernen, lernen und nochmals lernen, sonst bringst du’s zu nichts.
Nur die Wissenschaft hat Zukunft,
das ist das wahre Leben.«
    Der Junge reagiert nicht. Er starrt auf sein Nintendo, völlig gebannt
von Mario Bros.
    20
    Lea sieht, wie Roland hinter seinem Notebook hervorkommt und
nackt auf sie zugeht. Er legt sich wieder auf sie und flüstert:
»Entschuldigung.«
    Lea will sagen, dass man eine Frau nicht nackt im Bett warten lässt,
um ein Gespräch mit der Ex zu führen, doch sie lässt sich von seinen Küssen und
Liebkosungen

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