Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
Vom Netzwerk:
Leuchten beglänzt!
    So gesehen, denkt Gundelach beeindruckt, hat der Alltag Oskar Specht noch gar nicht eingeholt. Tatsächlich ist er wieder einmal schneller gewesen, schneller als alle, die ihn endlich stellen und auf eine bestimmte Rolle im eigenen kleinen Reich festnageln wollen. Nicht Specht bekommen sie zu fassen, sondern bestenfalls seine Minister. Oder Tom Wiener, der Rede und Antwort stehen muß, wenn die Frösche im Brunnen beleidigt quaken.
    Fürs Quaken der Frösche gilt das mit dem unentschiedenen Auf und Ab ja wohl nicht. Sie geben Laut, und fertig. Wie alles, was mit Mutter Erde verhaftet ist. Ist also die Freiheit des Fliegenkönnens der Urgrund für das wohltönende, kräftiger schallende und dennoch nie ganz zu fixierende Solokonzert, dem Gundelach jetzt mit gesteigerter Aufmerksamkeit lauscht?
    Tom Wiener darf inzwischen die Mehrzahl der wöchentlichen Pressekonferenzen allein bestreiten. Doch seither befindet er sich in einer womöglich schwierigeren Situation als zuvor. Einerseits kann er, da sein Name nun auch mit politischen Inhalten in Verbindung gebracht wird, endlich ein wenig aus Spechts langem Schatten heraustreten. Andererseits sind die Themen, die ihm der Ministerpräsident überläßt, oft so bedeutungslos, daß darin eine kaum verhüllte Geringschätzung des Auftraggebers dem Medium wie den Medien gegenüber zum Ausdruck kommt.
    Warum spielt Specht dieses doppelte Spiel?
    Gundelach ist sich fast sicher, daß er insgeheim seinen Sprecher und dessen wachsendes Eigenständigkeitsstreben für die abgekühlten Beziehungen zu einer Klientel, die ihm früher aus der Hand gefressen hat, verantwortlich macht. Indem er Wiener an die Front schickt, kann er ihn für Fehlschläge viel unmittelbarer in Haftung nehmen als früher. Doch auch darin glaubt sich der ruhelos Sinnierende nicht zu täuschen: Tom Wiener, im taktischen Geschick seinem Meister durchaus ebenbürtig, durchschaut und beantwortet das Spiel auf seine Weise: Noch die größten Nichtigkeiten verbreitet er mit soviel emphatischer Lobhudelei auf die ›glasklare‹ und ›richtungweisende‹ Politik Oskar Spechts, daß sich daraus eine bewundernswerte, bis zur Selbstverleugnung reichende Loyalität, aber auch die offenkundige Maßlosigkeit des Adressaten jener Byzantinismen ableiten läßt.
    Die Wege Oskar Spechts und Tom Wieners beginnen sich zu trennen. In den nervösen Stunden des Tageserwartens, wenn die Struktur der ihn umkreisenden Probleme transparent wie hauchfeines Glas vor ihm liegt, sieht Gundelach es unzweideutig. Es ist ein langsames, schmerzhaftes Voneinanderlassen zweier Unzertrennlicher mit ungleich verteilten Kräften: das Abstoßen des Stärkeren, der egoistische Entledigungsakt des Härteren auf dem Weg zum Gipfel.
    Auch ihn, den Sherpa, stellt das vor eine grundlegende Entscheidung.
    Er kann, wenn er will, Wiener verdrängen. Es wird lange dauern, Jahre vielleicht, weil Wiener ein zäher, fintenreicher Kämpfer ist, voll Duldsamkeit und Machtinstinkt. Aber am Ergebnis wird es nichts ändern. Die Etappe, die Specht jetzt in Angriff nimmt, ist eine intellektuelle Herausforderung, keine kommunikative. Er will ein Gegenbild zur konzeptionellen Einfallslosigkeit der neuen Bundesregierung schaffen. Dazu muß er aus dem Puzzle seiner bisherigen Aktivitäten einen überzeugenden gesellschaftspolitischen Entwurf formen, der die von Kohl versprochene und bisher nicht eingelöste ›Wende‹ tatsächlich enthält. Das ist schwierig, unmöglich aber ist es nicht. Doch der Regierungssprecher kann dazu nichts beitragen. Der Schreibtisch ist nicht sein Revier. Programmatik langweilt ihn. Dieses Feld hat er Gundelach überlassen. Und Gundelach hat inzwischen sein eigenes dichtes Beziehungsnetz zur wissenschaftlichen Elite geknüpft, auf das er jederzeit zugreifen kann. Bis hin zu seinem Mentor Professor Wrangel, dem harten grauen Wolf, den er liebt wie einen Vater.
    Wrangel sagt: Das machst du. Natürlich machst du das, du hast gar keine andere Wahl. Aber laß dir Zeit. Laß es auf dich zukommen. Schreib Specht bundesweit nach vorn, mehr brauchst du nicht zu tun. Und vermeide die Konfrontation mit Wiener, verletze ihn nicht, es wäre nicht anständig. Und es ist nicht nötig.
    Das aber ist leichter gesagt als getan. Längst weiß Tom Wiener, wohin Spechts neuer Ehrgeiz zielt. Längst kennt er die Gefahr, die ihm daraus erwächst. Und verletzt ist er schon. Durch die Rigorosität, mit der Specht das Programmatische bevorzugt, durch

Weitere Kostenlose Bücher