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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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die Geringschätzung, mit der er dem politischen Marketing begegnet, als wollte er so seine Wandlung zum ernsthaften Politiker unterstreichen. Nein, Wiener ist kein Dummkopf, er registriert den sinkenden Stellenwert seiner Arbeit genau. Und er macht sich über Spechts ichbezogenes Naturell, über seine Unfähigkeit, für vergangene Dienste Dankbarkeit zu zeigen, keine Illusionen.
    War da nicht ein zweiter, zaghafter Weckruf? Ein anderer Klang, der sich der einen zirpenden Stimme unsicher andiente und wieder abbrach, als fürchte er die Herausforderung?
    Wiener sucht nach Freiräumen jenseits des Abhängigkeitsverhältnisses, das ihn mehr und mehr bedrückt. Er findet sie im lebhaften, vertrauten Umgang mit Dr. Gerstäcker. Der Berater der Tendvall-Werke verschafft ihm reichlich Zugang zu exklusiven Wirtschaftskreisen in ganz Deutschland. Hier kann Wiener den Nimbus, als engster Vertrauter eines der mächtigsten Männer der Republik zu gelten, ausspielen. Hier wächst ihm jene Bestätigung zu, die ihm Specht immer öfter versagt. Freilich: unter beinahe konspirativen Umständen muß das geschehen. Einmal mißtrauisch geworden, läßt Specht sich regelmäßig Wieners Tagesplan vorlegen. Es ist eine Todsünde der Helfer von Mächtigen, eigene Wege zu gehen. Folglich zeigt Wiener ein noch größeres Interesse als früher an Gundelachs Mitwirkung bei der Tendvall-Stiftung. Das dient ja per definitionem Spechts höherem Ruhme, auch wenn der die Kontakte zur Stiftung mittlerweile eher als lästige Pflichtübung behandelt. Aber ihre Pflege ist unverdächtig und sichert Wiener den notwendigen Spielraum für sein verdecktes Bemühen, sich zu emanzipieren. Gundelach wiederum weiß, daß es kein besseres Mittel gibt, sich gegen Wieners aufflackernde Eifersucht zu schützen, als ihm wenigstens insoweit behilflich zu sein. Also reist er weiterhin gen Norden, um dem langsam verlöschenden Sören Tendvall, das Ohr den kaum mehr vernehmbaren Worten entgegengeneigt, zuzuhören.
    Sören Tendvall. Zerbrechlich inzwischen wie ein Glasvogel. Bald wird er ganz verstummen, und Gundelach wird ihn vermissen. Eine Stimme der Menschlichkeit, trotz aller Mühsal, die sie abverlangt.
    Menschlichkeit? Welch ein fremder, unzugehöriger Begriff, denkt Gundelach. Unsere Welt ist aus Kalkül und Kommerz konstruiert. Sobald Politik ins Spiel kommt, wird Menschlichkeit zum Synonym für Schwäche. Man muß sie verbergen wie ein Gebrechen.
    Das erste schwache Licht stiehlt sich ins Zimmer. Leckt an den Lamellen der Jalousien wie das Meer an Prielen, wenn die Flut zurückkehrt. Die eine, scheue Stimme hat ihre Garteneinsamkeit weggezirpt. Ununterscheidbar ist sie ins Konzert der vielen eingetaucht. Vogelgeplapper zuhauf.
    Gundelach achtet nicht mehr darauf. Er hört auf das Atmen seiner Frau. Betrachtet ihren weichen Schattenriß. Schläft sie? Lauscht sie? Verketten sich ihre Gedanken wie seine zu immer neuen Querverbindungen und Knotenpunkten, an denen sich irgend etwas entscheidet, ohne daß es zu fassen und festzuhalten ist? Oder denkt sie einfach und klar, das Leben auf den kleinen leuchtenden Mittelpunkt Benny ausgerichtet?
    Als er ein Schüler gewesen war, ein Knirps von acht oder neun Jahren, besuchte eines Tages ein Glasbläser die Schule. Mit Genehmigung des Rektors, vielleicht sogar auf Empfehlung des Schulamts, zeigte er seine Kunst und seine Schätze. Für eine Mark hätte man hauchdünn geblasene Glastiere kaufen können, Katzen, Hasen und Vögel. Für zwei Mark gab es große, buntschillernde Vögel, die durch eine kapillarfeine Öffnung ihres Schnabels Wasser aus einer Schale aufsaugen konnten. Bis sie gefüllt waren und schwer wie ein Stein.
    Wieder und wieder ließ der Bub den Glasvogel in seiner Hand trinken, wieder und wieder fühlte er ihn warm und schwer werden, als begänne er zu leben.
    Dann mußte er ihn dem Glasbläser zurückgeben. Geld, ihn zu behalten, hatte er keins.
    Kaskaden und Kurven
    Die Monate gingen dahin, mäßig bewegt.
    Hans Henschke hatte es geschafft, der Fron des Koffertragens zu entkommen. Als neuer Leiter der Verwaltungsabteilung konnte er sich Spechts totalem Verfügbarkeitsanspruch häufiger entziehen. In Rekordzeit war er zum Ministerialrat de luxe aufgestiegen – jenem schon in der begehrten B-Besoldung angesiedelten Dienstgrad für Spitzenbeamte, in dem Persönliche Referenten nicht mehr eingruppiert sein dürfen.
    Specht mußte also sein Büro neu besetzen, und als ihn – wieder einmal – ein

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