Monrepos oder die Kaelte der Macht
ein großes Haus. Sie gaben stilvolle Einladungen und entwickelten ein gesellschaftliches Leben, in das sie, anders als die meisten Männerfreunde des Ministerpräsidenten, auch dessen Familie mit einbezogen. Man unternahm Ausflüge mit Kind und Kegel und besuchte sich. Und für den Frühsommer hatte Dr. Mohr die verlockende Idee geboren, sich gemeinsam auf einer gecharterten Yacht die Sonne des Südens auf den Pelz brennen zu lassen.
Specht erzählte hinterher begeistert von der großen Freiheit, nach Lust und Laune im Mittelmeer kreuzen und unberührte Buchten ansteuern zu können. Gundelach gönnte ihm das exklusive Erlebnis. Er war der Überzeugung, daß ein schwer arbeitender Politiker auch das Anrecht auf ein paar Vergnügungen der Extraklasse haben sollte. Außerdem spürte er, wie wichtig es für Specht war, gerade jetzt sein ungetrübtes Verhältnis zu Spitzenleuten der Industrie demonstrieren zu können.
Deshalb fand er auch nichts dabei, als Specht, der Urlaubsvakanzen bisher nur für unnütze Politikpausen gehalten hatte, auf die Sommerferien hin bereits den nächsten Familienausflug mit Wirtschaftsbeteiligung plante – diesmal nach Kanada, das man in gemieteten Wohnmobilen zu durchstreifen gedachte.
Kanada war, wie bekannt, Berghoffs Revier. Auch der Spanplattenproduzent Kuster, den Specht als Mensch und Unternehmer sehr schätzte, besaß dort eine Fabrik. Mit von der Partie sollte schließlich noch das Vorstandsmitglied von Daimler Benz, Walter Kiefer, sein. Auch das machte, wie Gundelach meinte, atmosphärisch Sinn; stritt man doch gerade mit der Automobilindustrie heftig über die frühestmögliche Einführung des geregelten Drei-Wege-Katalysators. Specht würde auch das regeln und in der frischen Waldluft Kanadas schon einen Weg finden, Kiefer vom Nutzen derselben zu überzeugen.
Tom Wiener allerdings war gänzlich anderer Ansicht. Er hielt die Optik einer Vermischung von Politik und Wirtschaft für schädlich und beklagte Spechts ›Instinktlosigkeit‹, sich dem Verdacht einer Kungelei mit der Autolobby auszusetzen – ›und das in solch einer Situation!‹
Nun gab es zwar seit geraumer Zeit Spekulationen, daß Oskar Specht es mit Walter Kiefer und Edzard Reuter weit besser könne als mit dem Vorstandsvorsitzenden Breitschwerdt selbst, und manche verstiegen sich sogar zu der Behauptung, Specht strebe insgeheim den Chefsessel beim Untertürkheimer Konzern an. Doch Gundelach, dem Gerüchte wenig bedeuteten, nahm das nicht ernst. Wieners Mäkelei empfand er als Ausdruck wachsender Spannungen mit Specht, die sich kaum mehr verbergen ließen.
Vielleicht hatte er damit, was den psychologischen Hintergrund betraf, sogar recht. In der politischen Bewertung jedoch lag Wiener besser. Der Kanadaurlaub führte zu massivem öffentlichem Ärger, weil Specht nach seiner Rückkehr plötzlich große Aufgeschlossenheit für die Argumente der Autoindustrie zeigte. Das verblüffte alle, Gundelach eingeschlossen. Der hatte noch die markigen Worte im Ohr, Politik müsse der Wirtschaft definitive Ziele setzen, dann würden deutsche Unternehmer ungeheuer erfindungsreich. War Specht in Kanada von Walter Kiefer und den beiden Selfmademillionären ›umgedreht‹ worden? Das neueste Gerücht lautete so. Specht bestritt es vehement: man habe über dieses Thema gar nicht gesprochen. Wie das? Während zweier Urlaubswochen in der kanadischen Waldeinsamkeit redeten der umweltpolitische Chefpropagandist und sein Duzfreund, der Mercedes-Chefverkäufer, kein Sterbenswörtlein über das wirtschafts- und umweltpolitische Thema Nummer eins?
Specht behauptete es, und es war ihm nicht zu widerlegen, wie bei der Parteispendenaffäre auch. Doch Gundelach stellte beunruhigt fest: Die Zahl der Gerüchte wuchs. Die Zahl der Dementis folglich auch.
Was für eine geradlinige, wenn auch fachlich unverständliche Sache war demgegenüber das Festkolloquium im Audimax der Technischen Universität zu Ehren des frischgebackenen Dr. h.c. Oskar Specht! Vor der beeindruckenden Kulisse eines bis aus der Schweiz angereisten akademischen Hochadels und erstaunlich vieler gutwilliger Studenten trug Professor Wrangel in vollendetem Fachchinesisch die innovativen Induktionswirkungen des Specht-Modells vor.
Auf den Folien, die der Overheadprojektor an die Wand warf, wies, umrahmt von Phillipskurve, Hicks-Diagramm, komparativen Analysen und totalen Differentialen, die entscheidende mathematische Funktion, die das Volkseinkommen versinnbildlichte, bei
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