Monrepos oder die Kaelte der Macht
Mittagessen, ohne ein weiteres Wort über das Buch gewechselt zu haben. Specht freute sich auf die Gläser, die Schmitt in seinem Auftrag bestellen würde, und überlegte, wie er die Ausgabe von mehr als tausend Mark für ein bißchen Glas seiner Frau plausibel machen konnte.
Heikes Reaktion war ebenfalls absehbar gewesen.
Na wunderbar, sagte sie. Dann wissen wir ja jetzt, womit die nächsten Urlaube ausgefüllt sein werden.
Doch so einfach wie beim Redenschreiben ließ sich die Ghostwriterei diesmal nicht an. Zwar stellte sich Gundelach einen Tisch und einen Stuhl in den Garten, den sie zusammen mit den Hausbesitzern nutzen durften, nahm zur Bekräftigung seines ungebremsten Arbeitswillens auch gleich die Schreibmaschine mit, dazu hundert Blatt holzfreien Papiers und mehrere Taschen voller Bücher, ordnete alles auf beeindruckende Weise zu einem intellektuellen Picknick im Grünen – dann aber starrte er in die Luft und horchte auf das Summen der Bienen.
Der Wind fuhr durchs Laub der Obstbäume, Schmetterlinge tanzten, das Gras duftete, und Benny war begeistert, seinen Vater tagsüber bei sich zu haben. Was er im Kindergarten gelernt hatte – mit seinen fünf Jahren zählte er sich nun schon zu den Großen, deren Weg in die Schule einer gewissenhaften Vorbereitung bedurfte –, spielte er vor.
Auch die Vermieter, denen man schwerlich vorschreiben konnte, wie sie sich auf ihrem Anwesen zu betragen hätten, bekundeten lebhaftes Interesse, das Entstehen eines Buchs mitzuerleben. Auf seinen Stock gestützt, setzte der alte Herr Gundelach auseinander, wie er mit Demonstrierern verfahren würde, die vor Kasernentoren gegen die Stationierung von Pershing-Raketen protestierten, und hoffte wohl, sich dereinst als Volkesstimme gedruckt wiederzufinden.
Gundelach hörte zu und dachte: Zu Breisingers Zeiten hätten wir uns begegnen sollen!
Die Kirschen röteten sich, die Blätter blieben weiß.
Als er Mitte August ins Büro zurückkehrte, hatte er einen halbseitigen Gliederungsentwurf ausgearbeitet und die Überzeugung gewonnen, daß sich politische Bücher nur im Winter schreiben lassen. Auch Oskar Specht, der ohne den versprochenen Vermerk nach Kanada gereist war, brachte keine Notizen oder neuen Ideen mit.
Der Sommer aber war sehr schön gewesen. Gundelach erinnerte sich an viele Beobachtungen, die er seinem spielenden Sohn gewidmet hatte; an das Gefühl unvermuteten, unverdienten Glücks, wenn Benny plötzlich auf ihn zulief, um ihm etwas zu zeigen, ein Schneckenhaus, einen Regenwurm, den er streicheln sollte. Das hatte es früher nicht gegeben. Auch daß Benny von ihm zu Bett gebracht werden wollte, nicht. Manchmal war sogar Heike in den Garten gekommen und hatte ihre Arme um seine Schultern gelegt.
Dann umfing ihn die Normalität des Lebens wie das wärmende Licht der Sonne. Monrepos war weit weg. Darum ließ er den Tisch im Garten stehen und ergab sich dem Wohlgefühl innerer und äußerer Harmonie.
Selbst als der Urlaub vorüber war, verfügte er noch ein Weilchen auf herrschaftlich-bonvivante Weise über seine Zeit. Ging wann er wollte, kam wann er wollte, gönnte sich ab und zu den Bummel ins Café zu vormittäglicher Zeitungslektüre. Das Wissen, einer außergewöhnlichen Aufgabe verpflichtet zu sein, die mit Maßstäben des Alltags und der Hierarchie nicht zu messen war, zirkulierte in ihm wie eine Transfusion schon vergessen geglaubter geistiger Freiheit und persönlicher Souveränität. Und je mehr ihm die – wohl nur vorgetäuschte – Gleichgültigkeit Tom Wieners und das jede weitere Anteilnahme geflissentlich vermeidende Schweigen Oskar Spechts als unausgesprochene Aufforderung erscheinen mußte, das kleine, literarische Abhängigkeitsverhältnis, welches sein Chef eingegangen war, nicht mit dem großen, existentiellen zu verwechseln, in dem er als Untergebener stand – um so entschlossener übte Gundelach den Stil eines kulturellen Freigängertums, das Specht keinem Monrepos-Bediensteten sonst zugestand.
Doch bald erlahmte dieser Antrieb wieder. Er war, genau besehen, auch nicht recht statthaft. Denn zu schreiben vermochte der Literat während des Herbstes immer noch nicht.
Dr. h.c. Oskar Specht war derweil bis über die Halskrause mit Regieren beschäftigt. Verschiedenes lief nicht, wie es sollte.
Der anfängliche Eindruck, den das Feldwaldundflur-Trommelfeuer der ›Ökologischen Offensive‹ in der Öffentlichkeit hinterlassen hatte, war seit dem überraschenden Rückzieher in Sachen
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