Monrepos oder die Kaelte der Macht
anders gewesen?
So begann er zu schreiben, und im Januar, Februar und März schrieb er immer noch. Abends und an den Wochenenden schrieb er, nachts lag er wach und kämpfte mit seinen Zweifeln. Am meisten belastete ihn, sich gegenüber niemandem öffnen zu können. Sein Auftraggeber war an Ergebnissen interessiert, nicht am mühsamen Klärungsprozeß des ›trial and error‹.
Außerdem war Specht unglaublich beschäftigt. Die Wahl mußte gewonnen werden, sie stand auf Messers Schneide.
Wie abgeschnitten fühlte sich Gundelach, auch wenn er tagsüber seinen Dienst versah. Die Gedanken kreisten ums Buch, um etwas nicht Existierendes also, während alle um ihn herum das Aktuelle, Nächstliegende, Dringliche taten. In Spechts Augen waren sie ungleich wichtiger als er.
Nein, er täuschte sich nicht, er verlor an Einfluß. Tom Wieners gelöster Geschäftigkeit, die den alten Abstand wieder hergestellt sah, war es anzumerken. Und Gustav Kalterers frösteln machender Freundlichkeit auch.
Als die Wahl gewonnen und Tom Wieners bevorstehende Berufung zum Staatssekretär durchgesickert war, Gundelach aber nur ein größeres Zimmer beziehen durfte, wußte er, daß er einen kapitalen Fehler begangen hatte: Er hatte sich zu weit von der Meute und ihrem Leitwolf entfernt.
Er schwor sich, den Bettel hinzuwerfen und die hundertfünfzig Seiten, die ihm im letzten, quälenden Vierteljahr gelungen waren, seinem rastlos das Hier und Jetzt durchpflügenden Chef als Torso auf den Knoll-International-Schreibtisch zu knallen, mit freundlicher Empfehlung, den Rest selbst zu besorgen.
Doch gerade da erging Spechts Einladung an ihn, gemeinsam einige Tage im Kurhotel Unterstein zu verbringen.
Ein Gefühl für Gefahren hatte Specht also immer noch. Eine innere Stimme, die ihm riet, den Bogen nicht zu überspannen, sich um Menschen, die er brauchte (ob zum Stimmzettelankreuzen oder Buchseitenfüllen), zu kümmern, bevor sie enttäuscht das Lager wechselten. Der Instinkt, die Herde beisammen zu halten, funktionierte noch.
Unwillkürlich mußte Gundelach an Breisinger denken, dem dieser Instinkt nach seinem triumphalen Wahlsieg vor acht Jahren abhanden gekommen war, was er bitter bezahlt hatte.
Specht war in der eleganten, mit weißen Schleiflackmöbeln und Kristallüstern überladenen Hotelsuite wie ausgewechselt. Er widmete Gundelach so viel Zeit, als hätte er auf nichts sehnlicher gewartet als auf diese Begegnung.
Vom Buch war zunächst nur am Rande die Rede. Specht wußte ja auch nichts darüber, Gundelach hatte ihm das Manuskript erst ausgehändigt, als sie einander in den weißen Ledersesseln gegenübersaßen. Specht bedankte sich und sagte, er sei sehr neugierig und werde abends zu lesen beginnen, und Gundelach antwortete, er solle nicht erstaunt sein, vieles anders vorzufinden, als sie es im letzten Sommer besprochen hätten.
Das war alles zu diesem Thema.
Sie hätten sich, fuhr Specht fort, in den vergangenen Monaten ein bißchen aus den Augen verloren, was nicht schlimm und ganz natürlich sei, bedenke man die unterschiedlichen Jobs, die jeder von ihnen zu erledigen gehabt hätte. Aber jetzt komme es darauf an, den Faden wieder aufzunehmen, der durch den Wahlkampfzirkus (mit einer wegwerfenden Handbewegung unterstrich er diese Bemerkung) etwas verlorengegangen wäre. Er wolle deshalb mit Gundelach vor allem besprechen, wie man die Regierungserklärung aufbauen müsse, um einerseits den programmatischen Rahmen möglichst weit, bis in die neunziger Jahre hinein zu stecken, andererseits aber nicht zuviel von dem vorwegzunehmen, was das Buch bringen werde.
Aha, dachte Gundelach, das ist es also: Ich soll ihm wieder die Regierungserklärung schreiben. Natürlich, wie konnte ich das vergessen! Und nun hat er Sorge, daß mir beides zusammen, Buch und Regierungserklärung, zuviel wird. Deshalb die Seelenmassage.
Fast bedauerte er, sich des unfertigen Werks nicht doch mit Aplomb entledigt zu haben. Seine Nerven waren immer noch nicht die besten. Sie riefen ihm ein Bild in Erinnerung, das ihn an den langen, dunklen Winterabenden des öfteren verfolgt hatte, wenn es mit dem Schreiben wieder einmal stockte und hakte: das Foto eines blinden, ergebenen Grubenpferds, welches er in einem Buch über die Anfänge des Bergbaus gesehen und in einer Mischung von Selbstmitleid und Verzweiflung auf sich und sein Tun übertragen hatte. Als hätte Specht seine Gedanken erraten, beugte er sich vor und sagte in vertraulich werbenden Ton: Es wird sich
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