Monrepos oder die Kaelte der Macht
Halbierung seiner Kompetenzen und somit im Vorgriff schon seiner teilweisen Entmachtung zugestimmt hatte. Wahrscheinlich hatte Tom Wiener sich das ausbedungen, um den direkten Zugriff auf die Pressearbeit nicht zu verlieren.
Taktisch bin ich ihm unterlegen, dachte er. Hoffnungslos.
Specht spielte die halbe Nacht lang Skat und war am folgenden Vormittag für politisch Tiefschürfendes nicht empfänglich. Nachmittags telefonierte er, später meldeten sich Besucher an. Die örtlichen Mandatsträger der CDU brauchten ein Bild mit ihm für den Lokalteil ihrer Zeitung.
Den künftigen Innenminister Wilfried Schwind dagegen hatte Specht selbst einbestellt. Schwind, derzeit noch Sozialminister, sollte das Innenressort stabilisieren, das durch die vor kurzem erfolgte Berufung Professor Dukes’ zum Bundesverfassungsrichter verwaist war. Zwischen Schwind und Müller-Prellwitz bestand ein kaum verhülltes Konkurrenzverhältnis. Gundelach vermutete deshalb, daß der Wechsel auch den Zweck hatte, Müller-Prellwitz’ Einfluß in der Partei einzudämmen. Der Kultusminister nutzte seinen Kampf gegen linke Pädagogen und Lehrerverbände zielstrebig, um sich zum Leuchtturm der CDU-Rechten aufzubauen. Vielen paßte Spechts Modernismus, sein Techtelmechtel mit Kunst und Umwelt, die Unbotmäßigkeit gegenüber dem Kanzler, kurzum die ganze Richtung nicht mehr.
Also mußte Specht versuchen, konservative Themen wie die innere Sicherheit oder die Ausländerpolitik wieder stärker in die Gesamtdarstellung der Regierung einzubinden. Der gutmütige, stets etwas phlegmatische Dukes war dafür nicht das geeignete Aushängeschild gewesen. Wilfried Schwind dagegen würde es leisten können – allein schon deswegen, weil er sich so am schnellsten gegenüber Müller-Prellwitz profilieren konnte.
Müßig im Wasser der feuchtschwülen, grottenförmig ausgekleideten Schwimmhalle treibend, ließ Gundelach die Gedanken schweifen. Und obwohl er sich bemühte, sie in jene programmatische Richtung zu lenken, deren Diskussion mit Specht der einzige Zweck seines Hierseins war, flogen sie immer wieder davon und verfingen sich in Spekulationen um Namen und Winkelzüge wie Vögel in den Netzen von Fallenstellern.
Offenbar war es fast unmöglich, zur selben Zeit Politik zu machen und über sie nachzudenken. Wenn aber er, der nur Zaungast der Kabinettsumbildung war, dies schon so stark empfand, um wieviel mehr mußte die Ungleichzeitigkeit von Tun und Denken, der tägliche Sieg der vita activa über die vita contemplativa , für einen Mann wie Oskar Specht gelten!
Keine Zeile würde Specht selbst schreiben können, weil ihm die innere Ruhe dafür fehlte. Weil er stets fürchten mußte, daß irgendein Ehrgeiziger, nicht zum Zuge Gekommener die Verwundbarkeit, die geistiges Ringen mit sich bringt, ausnutzte, um ihm in den Katakomben der Partei den Rang streitig zu machen oder im Minenfeld der öffentlichen Meinung Stolperdrähte auszulegen.
Gundelach begriff, daß Oskar Specht gar nicht gesammelt nach vorn blicken konnte. Daß er sich immerfort nach rechts und links vergewissern mußte, ob das Geröll, auf dem er schritt, noch trug; ob es nicht irgendwo wegbrach, wegrutschte.
Das Aufsehen aber, das er mit seinem Buch wecken wollte, war demnach nichts anderes als ein weiterer Sproß seines Urtriebs, der erste zu sein, dem das Unmögliche doch gelang: Ein Vordenker zum Anfassen wollte er werden. Ein visionärer Tagespolitiker. Das prinzipienfeste Schlitzohr. Der Machtmensch als homme de lettres . Das war wie klassischer Bordeaux in futuristischen Gläsern.
Und dort ging es doch auch.
Als sie sich am nächsten Morgen verabschiedeten, hatte Specht immer noch nichts gelesen, Gundelach noch immer nichts erklärt. Doch trennten sie sich in der stillen Übereinkunft, weiterzumachen wie bisher.
Wenig später erreichte Gundelach ein vierseitiges Diktat Spechts mit viel Lob, einigen Anmerkungen, Fragen und Vorschlägen. Es war kein Problem, die Hinweise im Verlauf des Weiterschreibens einzuarbeiten.
Mein Gott, sagte Gundelach. Doch nicht mit dieser Krawatte!
Wieso nicht? fragte Tom Wiener.
Weil sie scheußlich grün ist und zum dunkelblauen Anzug paßt wie die Faust aufs Auge, und weil ›Die Kriminalpolizei rät: Vorsicht!‹ drauf steht. So geht man nicht zur Vereidigung als Staatssekretär.
Scheiße, sagte Tom Wiener. Ich hab aber keine andere dabei. Übrigens – was für ne Farbe haben eigentlich meine Socken?
Blaulila, sagte Gundelach. Eher lila.
Na,
Weitere Kostenlose Bücher