Monrepos oder die Kaelte der Macht
Distanz.
Gundelach verfolgte die Wendung, die sein Fest nahm, zunächst mit einiger Beklommenheit. War soviel Freimut statthaft? Gab es nicht irgendwo Schranken, Schranken des Amtes und seiner Würde? Durfte Breisinger, der auch in diesem Raum plakatstolz herniederlächelte, von seiner eigenen Umgebung als Landes-Übervater suspendiert werden? Er durfte. Mehr noch: Im Sinne einer ausbalancierenden Gerechtigkeit zwischen der einen, stets im Vordergrund stehenden Gestalt und den vielen, die ihr das solitäre Dasein ermöglichen, muß solches von Zeit zu Zeit geschehen. Es ist ein Akt innerdemokratischer Hygiene, der Platz schafft für neue Loyalität. Doch das begriff Gundelach erst viel später.
Vorerst genügte es ihm, daß Bertsch und Müller-Prellwitz, trink- und fabulierdurstig, sich mancher Streiche erinnerten und sie zum besten gaben … Auf seinem Fest! Welche Auszeichnung! Und so schenkte er ihnen wieder und wieder nach, rauschhaft befeuert, und hoffte, daß der beseligende Übermut einer Sommernacht, die mit betörenden Düften durch geöffnete Fenster hereinwehte, so bald nicht enden werde.
Müller-Prellwitz vor allem tat ihm den Gefallen.
Erinnerst du dich noch an die Reise nach Jugoslawien, Günter? Als zu Hause die Demonstrationen tobten? Los, erzähl! Na gut, dann mach’s ich. Also, wir waren zu Besuch in Belgrad, bei Tito. Breisinger voller Unruhe, es war die Zeit der Studentenkrawalle. Gundelach, hör gut zu, du Schlawiner. Jeden Morgen wollte der Alte Berichte haben über die Lage in der Heimat. Es gab aber keine, denn die telefonische Verbindung nach Deutschland war eine einzige Katastrophe, und wir hatten keine Lust, uns die Finger wund zu wählen. So beschränkten wir uns darauf, morgens das Kofferradio abzuhören, das Günter mitgenommen hatte. Wenn man es aufs Fensterbrett des Hotelzimmers stellte, bekam man einen Kurzwellensender rein – leider einen hessischen. Da wurde dann mal von einer kleinen Demonstration in Weinheim berichtet, eine völlig unbedeutende, lokale Sache. Wir zu Breisinger: Herr Ministerpräsident, in Weinheim braut sich etwas zusammen. Demonstrationen, Unruhen, die Lage ist unübersichtlich. Der Chef: So, in Weinheim? Geht das jetzt schon in den kleinen Städten los? Bertsch, halten Sie mich auf dem laufenden! Das taten wir, weiß Gott. Jeden Morgen hielten wir im Hotel eine Weinheimer Krisensitzung ab. Der Ort war in Aufruhr, Breisinger auch. Erst am vorletzten Tag gaben wir Entwarnung: alles wieder unter Kontrolle! Breisinger war erleichtert und voll des Lobes über unsere Informationspolitik. – Nur, daß weder der Kultus- noch der Innenminister nach seiner Rückkehr etwas mit der Frage anfangen konnten, ob es neue Erkenntnisse über Weinheim gäbe, hat ihn doch sehr verwundert. Da sehen Sie mal wieder, hat er zu uns gesagt, was das für Schlafmützen sind!
Ach ja, seufzte Bertsch wehmütig, Jugoslawien! Du hast im Hotel so großzügig mit Trinkgeld um dich geworfen und so oft Champagner bestellt, daß die Kellner dich für den großen Zampano gehalten und jedesmal die Tür vor dir aufgerissen haben. Um Breisinger hat sich kein Mensch mehr gekümmert, was ihn in seiner Meinung, daß alle Sozialisten schlechte Manieren haben, natürlich sehr bestärkt hat …
Wo der Chef recht hat, hat er recht, lachte Müller-Prellwitz. Aber mit dem Personal ist es schon ein Kreuz! Kennt ihr die Geschichte vom Staatsbesuch in Neu Delhi? Nein? Da ging so ziemlich alles schief, von Anfang an. Das Flugzeug hatte Verspätung, der erste Empfang war gleich nach der Ankunft geplant, und weit und breit kein Mensch von der Deutschen Botschaft, der uns abgeholt hätte. Vor der Passkontrolle eine riesige Schlange von Wartenden, unsere Delegation, ein Haufen Unternehmer darunter, vom langen Flug knatschig und nervös. Der PR schnappt sich einen Zöllner – ein ganz kleiner war es, er reichte Breisinger kaum über den Bauchnabel – und erklärt ihm, daß wir eine offizielle Delegation aus Deutschland wären und bitteschön ohne weitere Formalitäten durchgelassen werden wollten. Der Inder strahlt: All Germans are good friends! Aber es fällt ihm im Traum nicht ein, uns durchzulassen. So sehr ihn unser Mann auch zu beschwatzen versucht – er antwortet stereotyp: All germans are good friends – but you have to wait there! und deutet aufs Ende der Warteschlange. Da reißt Breisinger der Geduldsfaden – schließlich steht auch seine Autorität auf dem Spiel –, er baut sich vor dem Zwerg auf
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