Monrepos oder die Kaelte der Macht
ein Polizist auf Patrouillengang vorbei, streckte grüßend den Kopf herein und sagte:
Heut ischts wiedr hoch herganga, wie?
Ja, sagte Gundelach.
Nein, sagte Heike Blank.
Sie lachten sich aus der Entfernung zu.
Fast gleichzeitig wurden sie fertig. Auf dem Gang, vor der Eingangstür, standen sie sich gegenüber.
Gehen wir noch etwas durch den Park? fragte Heike Blank zögernd.
Ja, sagte Bernhard Gundelach. Gehen wir.
Und hatte erstmals keine Mühe, ihren Blick zu erwidern.
Zweites Kapitel
Härtere Zeiten
Sehr geehrter Herr Bamminger,
anbei übersende ich Ihnen wiederum drei Leserbriefe, die Sie bitte von jeweils verschiedenen Parteimitgliedern unterschreiben lassen wollen. Die Zuschriften befassen sich mit Kommentaren zum Kernkraftwerk Weihl, zur Veranstaltung mit dem Ministerpräsidenten in Kiefersbergen und zur Bundestagswahl am 3. Oktober. Sie sind, wie immer, auf unterschiedlichen Schreibmaschinen geschrieben. Achten Sie bitte darauf, daß die Absender die Redaktionsanschrift handschriftlich auf den Briefumschlag setzen. Wir haben Hinweise darauf, daß die Zeitung verstärkt nach ›getürkten‹ Leserbriefen fahndet. Deshalb wäre es auch gut, wenn Sie für die Aktion Personen gewinnen könnten, deren Parteimitgliedschaft nicht öffentlich bekannt ist und die als Leserbriefschreiber noch nicht oft in Erscheinung getreten sind.
Mit freundlichen Grüßen
Bernhard Gundelach
Der Assessor las den Brief nochmals durch, unterzeichnete ihn und steckte die Korrespondenz mit dem CDU-Kreisgeschäftsführer Walter Bamminger in einen Umschlag ohne Absender.
Es war ein rechtes Kreuz, aber was wollte man machen? Offensichtlich gab es in der Partei wenige, die den Antrieb verspürten, zu kritischen Presseartikeln so Stellung zu beziehen, wie Breisinger sich das wünschte; oder die Fähigkeit besaßen, das Richtige zu denken und es dann auch noch richtig zu schreiben. Der schriftstellerische Eros schien beim christdemokratischen Fußvolk nicht eben weit verbreitet. Sogar wie sie sich über linke Meinungsmache aufzuregen hatten, mußte manchen Ortsverbänden vorexerziert werden. Von selbst kam da nichts.
Auf der anderen Seite eignete der Serienproduktion von Leserbriefen durchaus ein stilbildendes Moment, denn jeder Brief mußte ja seinen eigenen Duktus aufweisen. Viele Redaktionen waren mißtrauisch geworden und versuchten, bestellte Unmutsäußerungen herauszufiltern. Auffällige Parallelitäten bei der Wortwahl und identische Argumentationsmuster hieß es also zu vermeiden. Kein ganz einfaches Geschäft, wenn wieder und wieder die Schuldenpolitik der Bonner Sozialisten gegeißelt, der Ausverkauf deutscher Interessen durch die neue Ostpolitik beschworen und die unverzichtbare Kernenergie besungen werden sollte!
Die es gekonnt hätten, die Berufsschreiber, standen leider in der Mehrheit links und indoktrinierten die Leser mit politischen Auffassungen, die man sich auf Monrepos nicht einmal zugeflüstert hätte. Mit am schlimmsten trieb es ausgerechnet jene Postille, die in Breisingers Wahlkreis ein Meinungsmonopol besaß. Statt froh und dankbar zu sein, daß ein großer Sohn der Stadt so hoch hinaufgeklettert war, mäkelte die kleinkarierte Journaille an allem und jedem herum. Da konnte Bertsch noch so viele Briefe an den Chefredakteur schreiben und Breisinger dem Verleger noch so oft sein Mißfallen bekunden – es half nichts. Das Blatt verfügte über ein basisdemokratisches Redaktionsstatut, bei streitigen Fragen entschied die Mehrheit der Schreiberlinge, und die kannte kein Pardon.
Doch Breisinger war nicht gewillt, sich linken Kadern widerspruchslos zu beugen. Immer wieder strich er mit grünem Stift an, was ihm die Morgenlektüre vergällte, beorderte Bertsch zu sich und gab Auftrag, der Ausgewogenheit freier Meinungsbildung nachzuhelfen.
So kam Gundelach zu der Ehre, Volkes Stimme zu verstärken, wo sie sich etwas undeutlich artikulierte, und er tat es mit wachsendem psychologischem Interesse. Die politische Linie kannte er inzwischen ausreichend. Zu jedem Thema gab es genügend Pressemitteilungen. Doch darin bestand ja gerade die handwerkliche Kunst: den Inhalt einer offiziellen Verlautbarung sprachlich so zu verfremden, daß sie wie ein unschuldiges, subjektives Bürgervotum wirkte, welches sich zufälliger- und erfreulicherweise mit der Regierungspolitik deckte. Und hinter jeder Zuschrift mußte ein Mensch stehen, dessen persönliche Eigenart man aus den Zeilen herauszulesen vermeinte. Nur dann
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