Monrepos oder die Kaelte der Macht
würden die Redaktionen keinen Argwohn schöpfen.
Er versuchte, sich in die Seelenlage derer zu versetzen, die vor Ort als Absender firmierten. Das gelang nicht leicht. Wenn Parteimitglieder ihren Namen dafür hergaben, Briefe, die sie nicht verfaßt hatten, zu Themen, die ihnen nicht wichtig genug waren, als daß sich daran ein eigenes Mitteilungsbedürfnis entzündet hätte, an eine Zeitung zu schicken, die sie trotz harscher Schelte ihrer obersten Führung weiter brav abonnierten, so stand zu vermuten, daß es sich in der Regel um biedere Zeitgenossen handelte. Jedenfalls ließen sie wohl jene Kantigkeit vermissen, von denen die vorgeblichen Leserrügen geprägt sein mußten, um Aufmerksamkeit zu erregen und Breisinger zufriedenzustellen.
Der Assessor experimentierte eine Weile; dann behalf er sich mit einer List. Er dachte sich seine Meinungsmarionetten nicht als bemühte Sonntagsschreiber, sondern gruppierte sie, sozusagen zu vorgerückter Stunde, um einen imaginären Stammtisch. Da konnten sie ihre Seele lüften, der Akademiker wie der Handwerker, der ewig Quengelnde und der Spötter, das aufrechte Landvolk neben dem pomadigen Städter.
Und siehe da: sie taten es bild- und gestenreich, je nach Temperament und Geistesgaben. Wie Bierdunst schwebte der gesunde Menschenverstand über ihren Köpfen, und saßen sie nur lange genug beieinander, so kondensierte das Gemisch am Ende sogar zu jener kostbaren Essenz, die Gundelach, der Seelenwirt, von einem zum anderen eilend, als gesundes Volksempfinden einfing, in Wort und Schrift zur vox populi gerinnen ließ und an Menschen weiterreichte, die vorgaben, eine eigene Meinung zu haben.
Diese Beschäftigung, auch wenn er sie nicht unbedingt liebte, bereitete ihm doch ein unverkennbares artistisches Vergnügen. Und daß er immer häufiger und zuletzt ausschließlich damit betraut wurde, bewies, daß sie keinem so gut gelang wie ihm. Auch Dr. Weis nicht, der bereits erste Anzeichen schriftstellerischer Eifersucht erkennen ließ.
Für Breisinger aber waren Gundelachs Traktate eine Art Gesinnungskassiber, die er in linke Redaktionszellen schmuggeln konnte. Es bereitete ihm Genugtuung, unerkannt Breschen in die Mauern feindlich gesonnener Medienbollwerke schlagen zu können, und er dankte Gundelach die kleinen Erfolge, indem er ihn des öfteren zu sich rufen oder durch Bertsch belobigen ließ.
Ja, man kämpfte jetzt mit härteren Bandagen. Die Bundestagswahl stand vor der Tür, und in Bayern war der Slogan ›Freiheit oder Sozialismus‹ geboren worden.
In Bayern? Müller-Prellwitz war der Überzeugung, seiner Grundsatzabteilung komme die Urheberschaft zu und sonst niemandem. Und in der Tat hatte die Abteilung Vier, wie sie auch genannt wurde, dem Ministerpräsidenten vor kurzem erst eine Parteirede ausgearbeitet, in der es zum Schluß hieß, Deutschland müsse sich entscheiden – zwischen Freiheit und Sozialismus.
Die Rede war auch sonst nicht von schlechten Eltern, und sie wurde in einem Ort namens Binslingen vom Stapel gelassen. Meppens, der Oppositionsführer, taufte sie flugs in ›Binshofener Rede‹ um, weil ihre Tiraden, wie er fand, nur noch mit denen eines Franz Josef Strauß beim politischen Aschermittwoch in Vilshofen vergleichbar seien. Damit weckte er freilich erst recht die Aufmerksamkeit der Medien – und das sportive Interesse der bayerischen CSU, welche sich sogleich das Manuskript erbat. Bald danach tauchte in christsozialen Rundumschlägen der Schlachtruf ›Freiheit oder Sozialismus‹ auf. Die Intellektuellen schäumten, die Presse hatte ihr Thema. Müller-Prellwitz tänzelte herum wie ein Boxer und verkündete im kategorischen Imperativ, ›Freiheit statt Sozialismus‹ heiße die Losung, mit der man aufs Schlachtfeld der nächsten Landtagswahl ziehen werde.
Breisinger zögerte zunächst und wartete die innerparteiliche Meinungsbildung ab. In der Landes-CDU war die Zustimmung groß. Der Bundesvorsitzende und Kanzlerkandidat Helmut Kohl dagegen gab sich reserviert. Man mußte schließlich auch an Deutschlands Norden denken, der politisch zarter besaitet war als der Süden. Das wiederum bestärkte Breisinger darin, die totale Konfrontation mit der Opposition zu suchen.
Er war von Kohls Qualitäten nicht sehr überzeugt.
Gundelach stellte unterdessen eine eigenartige Veränderung der Atmosphäre auf Monrepos fest. Bis in den Sommer hinein hatten sie sich mit dem beschäftigt, was der normale Gang der Landespolitik war: Novellierung des
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