Monrepos oder die Kaelte der Macht
Hochschulrechts, bessere berufliche Ausbildung von Jugendlichen, denkmalpflegerische Maßnahmen für Innenstädte, ein Programm zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur. Die Landespolitische Abteilung spielte bei allem die erste Geige. Oft war die halbe Pressemannschaft im Einsatz, um den Bienenfleiß der Pullendorfschen Referenten zu verarbeiten.
Die Partei trat dabei kaum in Erscheinung. Jedenfalls bemerkte Gundelach nicht viel von ihr. Pullendorf legte Wert darauf, nicht der CDU anzugehören und es trotzdem weit gebracht zu haben. Seine Mitarbeiter mußten erstklassige Juristen sein. Mich interessiert nicht das Parteibuch, sondern das Staatsexamen, pflegte er zu sagen. Besonders gern betonte er das vor Angehörigen der Grundsatz- und der Presseabteilung. Er hielt sie für ›Karrierechristen‹ und behandelte sie mit kaum verhüllter Herablassung.
Doch dann gewann die Kampagne ›Freiheit oder Sozialismus‹ an Boden. Müller-Prellwitz und Bertsch beförderten sie nach Kräften. Aus ihrer Zuneigung zur CSU hatten sie nie ein Hehl gemacht. Ebensowenig verbargen sie, daß Franz Josef Strauß in ihren Augen der weitaus bessere Kanzlerkandidat der Union gewesen wäre als der Pfälzer Helmut Kohl. Die Südschiene dürfe sich nicht auseinanderdividieren lassen, lautete ihr Credo. Breisinger müsse ideologisch Flagge zeigen und als ehernes Bollwerk gegen Sozialismus und Kollektivismus auftreten, und die Konservativen innerhalb und außerhalb der Partei bei der Stange zu halten. Absolute Mehrheiten gewinnt man nur durch Kampf und Polarisierung. Punktum.
Das war die Linie, die Bertsch seinen Leuten ab Sommer 1976 vorgab, und Müller-Prellwitz verfuhr geradeso. Er schaffte es auch, den anfänglich schwankenden Breisinger zu überzeugen. Von da an änderten sich schlagartig die politischen Prioritäten. Pullendorfs Arbeit trat mehr und mehr in den Hintergrund, die Grundsatzabteilung übernahm die Kontrolle. Kaum eine Initiative verließ das Haus, die nicht zuvor den parteipolitischen Filter durchlaufen hatte.
Zu eben dieser Grundsatzabteilung gehörte ein junger, blaßgesichtiger Regierungsrat mit korrekt gescheiteltem Haar und übergroßer Hornbrille, der sich in den nun folgenden Monaten des Aufrüstens und Munitionierens rasch profilierte. Gegenüber differenzierten Sachaussagen schien er ein tiefsitzendes Mißbehagen zu verspüren, dem er als Mitglied der Redengruppe freien Lauf ließ. Das ist zu kompliziert, das versteht niemand, lautete sein Verdikt, wenn Redeentwürfe der Fachabteilungen besprochen wurden. Statt dessen empfahl er, dem Motto ›Streichen, wo möglich, drauf schlagen, wo nötig‹ zu folgen.
Von Karl Büscher hieß es allgemein, er sei der Verfasser der Binslinger Rede gewesen. Er selbst schwieg dazu oder lächelte hintergründig. Doch konnte niemandem verborgen bleiben, welch bevorzugter Behandlung sich der Regierungsrat binnen kurzem erfreute. Müller-Prellwitz, den Büscher auf Schritt und Tritt begleitete, versicherte sich seines Rats ebenso wie Günter Bertsch, der ihn häufiger ins Vertrauen zu ziehen schien als die Angehörigen seines eigenen Stabes. Insbesondere Dr. Zwiesel litt darunter.
Auch Gundelach empfand diese unvermutete Wendung als schmerzlichen Einschnitt. Hatte er doch an seinem Vorgesetzten bislang nichts so sehr bewundert wie dessen Vermögen, politische Sachverhalte kühl und rational zu analysieren und mit beherrschter Argumentation andere, bis hin zum Ministerpräsidenten, zu überzeugen. Und jetzt lieh er sein Ohr einem Spund, der außer weiß und schwarz keine anderen Farben unter der Sonne zu kennen schien! Der mit einem Schwerthieb jede Position in gut und böse teilte, so daß ein Dazwischen, ein Möglicherweise bereits wie wankelmütiger Verrat an der heiligen Sache des Willens zum Sieg wirkte!
Es läßt sich nicht leugnen: Gundelach, der Novize, kannte die Gesetze des Wahlkampfs nicht. Naiv und blauäugig hielt er ihn für einen Wettstreit der Ideen. Erst langsam begriff er, daß es nicht auf Köpfe, sondern auf festgezurrte Helme ankam und derjenige den größten Vorteil besaß, der seiner Anhängerschaft frühzeitig das Zweifeln abgewöhnt hatte. Büschers Rigorismus war nichts anderes als die Mobilmachung des Wahns, im Frühjahr nächsten Jahres müsse wirklich zwischen Freiheit und Sozialismus entschieden werden. Und je höher die Wellen der Empörung in den Medien schlugen, um so sicherer konnte man sein, daß die Saat der Polarisierung aufgehen
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