Monrepos oder die Kaelte der Macht
du schon nach einem halben Jahr Monrepos damit anfängst! Das Land aber sind neun Millionen Bürger, die mit Politik herzlich wenig am Hut haben. Und wenn du sie nicht entsetzlich langweilen willst, dann biete ihnen Unterhaltung, Spaß, Show und möglichst wenig politisches Geplapper!
So argumentierte Andreas Kurz. Er tat es aus Freundschaft, vielleicht auch aus Mitleid. Ob er von seiner Sophisterei im Innersten überzeugt war, behielt er für sich. Aber Bernhard Gundelach half sie, sein Tagwerk zu ordnen, ohne sich jeden Morgen des Verrats an der einen oder der anderen Sache bezichtigen zu müssen.
Er hatte seine Fähigkeit zum politischen Spagat wohl doch überschätzt. Das war tröstlich und auch wieder nicht. Schließlich wollte er trotzdem Karriere machen.
Die Reisen, zu denen ihm sein Freund geraten, packte er unverzüglich an; und wie Andreas Kurz es prophezeit hatte, empfing man ihn allerorten mit ausgesuchter Höflichkeit. Nicht nur die Presse, auch Städte- und Gemeindetag hatten die Nachricht von der konstituierenden Sitzung des ›Arbeitskreises Landesjubiläum‹ verbreitet, so daß er überall bestens annonciert war. Eigens für ihn zusammengestellte Tagesprogramme, in deren Verlauf er zu den schönsten Plätzen und größten Sehenswürdigkeiten geführt und mit Honoratioren des Orts bekanntgemacht wurde, belegten den Rang, der dem Besuch eines Abgesandten der Macht beigemessen wurde. Daß diesem noch nicht einmal der Titel Regierungsrat zustand, überging man taktvoll und in der Gewißheit, daß es sich schnell ändern werde.
Binnen kurzem war ein Netz von acht regionalen und über dreißig lokalen Heimatfesten übers Land geworfen. Jedes Schauspiel folgte einem ebenso simplen wie eingängigen Schema. Fanfarenzüge bliesen den Auftakt, ein Conferencier war für Späße, ein Minister oder Staatssekretär fürs Begrüßen zuständig, Musik- und Tanzgruppen füllten die Pausen. Würstchenbuden und fliegende Händler verwandelten den Festplatz in einen Jahrmarkt, und abends stieg ein Feuerwerk.
Um dieses Standardprogramm herum rankten sich örtlich wechselnde Aktivitäten. Hier zeigte ein Heimatmuseum, was jüngste Forschungen zutage gefördert hatten, dort richtete der Radsportverein einen ›Jubiläums-Triathlon‹ aus, an anderer Stelle traf man Vorbereitungen für Chorwettbewerbe. Nichtigkeiten in den Augen urbaner Spötter, die auch ohne landesväterliche Patronage ihren Lauf genommen hätten. Doch Gundelach bezog sie ein, etikettierte sie als landespolitisch wertvoll und adelte damit ihre Urheber zu Musterbürgern.
Er brauchte keinen großen Arbeitsstab, kein Organisationskomitee. Tausende eifriger Vereinsmitglieder wurden seine treuesten Helfer.
Dringlich benötigte man jedoch ein Erkennungszeichen. Wer mit von der Partie war, wollte und sollte es öffentlich kundtun. Gundelach setzte mehrere Werbeagenturen ins Brot und war mit dem Ergebnis unzufrieden. Statt naiver Freude verbreiteten die Entwürfe hoheitliches Pathos. Da erinnerte er sich seines zerknirschten Gesprächs mit Andreas Kurz und fand in einem Augenblick intuitiver Eingebung die Lösung: Nichts konnte sein Anliegen besser symbolisieren als ein bunter, wie von Kinderhand gepflückter Blumenstrauß. Eine Schulklasse zeichnete ihn, Grafiker verfeinerten ihn, und dann wurde das Signet hunderttausendfach vervielfältigt, auf T-Shirts, Autoaufkleber und Luftballons gedruckt, in plakativen Übergrößen und filigranem Streichholzschachtelformat an Handel und Gewerbe verteilt, schließlich sogar als Münze und als Anstecknadel geprägt. Breisinger bekam das erste Exemplar überreicht, trug es fortan am Revers und ernannte das glitzernde Nichts zur ›Ehrennadel‹.
Während die kleinen und mittleren Städte leicht zu erobern waren, zierten sich die großen ein Weilchen. Ihr metropolitisches Selbstverständnis verbot allzu rasche Willfährigkeit gegenüber landesherrlichen Wünschen. Auch war ein Assessor zunächst nichts weiter als ein Assessor; deren hatte man selbst genug.
Gundelach war versucht, den Ministerialdirektor um Schützenhilfe zu bitten. Ohne genau zu wissen warum, befiel ihn beim Anblick Renfts immer ein schlechtes Gewissen. Als träfe er unvermutet einen alten Onkel wieder, dessen wehmütige Briefe unbeantwortet geblieben waren. Auch hätte er nicht zu sagen gewußt, was ihn trauriger stimmte: die Müdigkeit in Renfts Augen oder die altmodisch-übertriebene Korrektheit seiner Kleidung. Auf eine scheue, uneingestandene
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