Monrepos oder die Kaelte der Macht
Weise liebte Gundelach seinen Amtschef, und gerne hätte er ihn ein wenig an der überbordenden Betriebsamkeit dieser Tage teilhaben lassen. Doch dann obsiegte die Vernunft: Renfts bürokratische Akuratesse kostete zuviel Zeit, er wußte es selbst. Nun denn, junger Mann, sammeln und knüpfen Sie, hatte er gesagt, immer frisch drauf los …
So behalf sich der Assessor anders. Er eroberte die stolzen Rathäuser nicht über die breite Vordertreppe, sondern durch den Lieferanteneingang. Mit Kaufhäusern, Konzertagenturen und Sportvereinen führte er Gespräche, bot ihnen das Jubiläumssignet und sogar das Landeswappen zu Werbezwecken an, verhandelte mit Zeitungsredaktionen über Sonderausgaben, mit Fußballclubs über Bandenwerbung und erreichte, was er erreichen wollte: Innerhalb weniger Wochen wurde in den Lokalzeitungen ungeduldig die Frage gestellt, was denn wohl die Stadtverwaltung zum großen Ereignis beizutragen gedenke, dessen Attraktivität die private Wirtschaft längst erkannt hätte, während die Beamten, wie es schien, wieder einmal den Schlaf der Gerechten schliefen … Daraufhin fielen ihm die Termine wie reife Früchte in den Schoß, manche Oberbürgermeister gaben sich selbst die Ehre. Am Ende hatte er für eine Reihe großer Städte sogenannte Lange Nächte vereinbart – wunderschöne Spektakel mit Fahnenschmuck, Jazzkapellen, europäischer Folklore, Wein- und Bierzelten und einer bis in den frühen Morgen verschobenen Sperrstunde.
Zum Herbst hin stand das Programm. Es war reichhaltig und, wie er fand, einigermaßen anspruchsvoll. Natürlich überwogen Trachtenseligkeit und Dschingdarassabum. Das war er seinen Vasallen im Arbeitskreis, den Brauchtumspflegern und Blasmusikern, die für ihn im Land die Trommel rührten, schuldig. Und Breisinger sollte seinen Spaß haben am biedermeierlichen Gepränge. Aber daneben schleuste er manches ein, was wie ein roter Stoffetzen vom Webteppich abstach – Satire, Karikatur, Pantomime, freche Mundart; widerborstige Kleinkunst, die sich in Nischen wohlfühlte und deren Vertreter dankbar und erstaunt zugriffen, als man ihnen, für ein paar hundert Mark Gage, ein Plätzchen im Halbschatten des offiziellen Veranstaltungsreigens anbot.
Die Staatskanzlei wußte davon nichts. Sie hätte es schwerlich gutgeheißen. Doch Gundelach brauchte das, zum Ausgleich für den stupiden, dröhnenden Hammerschlag, mit dem er in der anderen Arbeitsgruppe auf den Amboß der Parteidemagogie einschlug, angetrieben von Müller-Prellwitz, Bertsch und Büscher, die den Takt vorgaben.
Wegweisungen fürs Parteivolk
Die Bundestagswahl war verloren, auch wenn die Union die mit Abstand stärkste Fraktion geworden war. Knapp vorbei ist auch verfehlt, und die Enttäuschung, dem ersehnten Ziel so nah gewesen zu sein, um es dann wieder entgleiten zu sehen, erzeugt Tantalusqualen. Hoffnungslosigkeit breitet sich aus, der Fels weiterer Oppositionsfron, beinahe schon abgewälzt, drückt doppelt, die Zunge, dem sprudelnden Ämter- und Postenquell nahe, schwillt an in lähmendem Entsetzen.
Die Bonner CDU-Zentrale trug Trauer.
Nicht so die Staatskanzlei, deren Geschichte wir hier erzählen. Dort wurde man nach dem 3. Oktober erst richtig munter. Hatte man nicht, wieder einmal, Recht behalten? Weniger als zwei Prozent trennten die Union von der absoluten Mehrheit, und diese beiden lächerlichen Pünktchen waren im Norden verschenkt worden, wo sonst. Die letzte Entschlossenheit hatte den hanseatischen, holsteinischen und niedersächsischen Weichspülern gefehlt, der Mut zur Polarisierung, der Wille zum Kampf.
›Aus Liebe zu Deutschland – die Freiheit wählen‹, lautete ihr Slogan. Das war nichts Halbes und nichts Ganzes. Es mangelte am Kontrapunkt. Mit Freiheit warben auch SPD und FDP, aufgeschreckt durch den Erfolg der süddeutschen Kampagne. Der Begriff inflationierte zum Katzengold. Erst die Kontrastvokabel Sozialismus gab ihm die rechte Schärfe, trieb den Gegner auf die Barrikaden und die Menschen an die Urnen. Die Tauben, nicht die Falken hatten verloren.
In die Genugtuung mischte sich Erleichterung. Was, im Ernst, hätte man tun sollen, wenn die Bonner Koalition gekippt worden wäre? Nicht auszudenken. Ein Feindbild wäre abhanden gekommen. Kein Helmut Schmidt mehr, der Massenarbeitslosigkeit und Geldentwertung produzierte. Im Gegenteil: Der Winter stand vor der Tür, die ökonomischen Daten würden sich verschlechtern. Das war gleichsam naturgesetzlich, egal ob CDU, SPD oder Caligulas
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