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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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Übertritt, falls die Christsozialen kämen. Wenn man sich denn zwischen Bonn und München entscheiden müsse, liege München näher, geografisch und weltanschaulich.
    Hektische Diskussionen durchtobten die Staatskanzlei. Gesetzt den Fall, die Spaltung der Union wäre unaufhaltbar – wie sollte man sich positionieren? Stärker zur Mitte hin, um neue Wählerschichten zu erschließen? Noch weiter nach rechts, obwohl das schwer vorstellbar erschien, um der CSU das Wasser abzugraben? Müller-Prellwitz und Bertsch verfochten die harte Linie, Pullendorf die liberale. Alte Fehden brachen auf, unsichere Kantonisten wurden ausgemacht.
    Gundelach duckte sich und schwieg.
    Breisinger reiste, konferierte, verlautbarte, beschwichtigte. Geheimtreffen mit Strauß: um ein Stillhalteabkommen bis nach der Landtagswahl sei es gegangen, wurde gemunkelt. Vier-Augen-Gespräch mit Kohl: sogar von einer möglichen Abspaltung des gesamten Landesverbandes sei die Rede gewesen, wußten die Auguren.
    Der Schock saß tief, die SPD feixte. Die Unionswelt drohte aus den Fugen zu geraten.
    Verloren zwischen den Stürmen hockte das Häuflein bleichwangiger, übernächtigter Wahlkampfhiwis in der Nußschale des Kleinen Kabinettssaales und wußte nicht, wohin die Wellen der aufgepeitschten See es werfen würden.
    Freiheit statt Sozialismus? Welche Freiheit denn, bitte schön, die rechte oder die ganz rechte? Also Freiheit statt Freiheit? Schwindlig konnte einem werden. War am Ende alles Schwindel?
    Bertsch, die Gefahr witternd, sprach ein Machtwort: Wir machen weiter wie bisher. Nichts wird geändert, die Konzeption ist richtig und bleibt richtig. Büscher assistierte: Wenn die CSU antritt, muß sie sich warm anziehen. Wir sind im Januar mit unseren Themen auf dem Markt, so schnell kommen die gar nicht aus den Startlöchern. Die Münchner Werbeprofis, bemüht, Zweifel an ihrer Loyalität im Keim zu ersticken, nickten eifrig. Franz Josef, sagten sie, liebt den Theaterdonner. Aber im Innersten ist er ein Zauderer. Abenteuer liegen ihm nicht. Die ganze Aktion wird ausgehen wie das Hornberger Schießen.
    Zögernd faßte die Partei wieder Tritt. Landesvorstand, Fraktion, Kreisvorsitzendenkonferenz votierten einmütig für die Linie der Bundespartei. Breisinger bleckte die Zähne, gab sich kämpferisch und verhieß Abweichlern kompromißlose Härte.
    Am 12. Dezember war der Spuk vorbei. Die CSU stimmte der Fortsetzung der Fraktionsgemeinschaft in Bonn zu.
    Ein Steinschlag polterte von Abertausenden verzagter Unionsherzen. Die Stimmung auf Monrepos schlug um in berstenden Übermut: Wieder hatte das Schicksal es gut gemeint mit Breisinger. Jetzt werden wir die Roten packen und beuteln wie noch nie! Nicht schlagen, vernichten werden wir sie! Bis zur Dreißigprozentgrenze herunterdrücken, auf Jahrzehnte hinaus ins Ghetto einer Drittelpartei einsperren und Meppens politisch erledigen! Mausetot wird er sein, quantitativ auf Null gebracht, der Verkünder des qualitativen Wachstums! Und wir, wir verteidigen nicht die absolute Mehrheit, wir bauen sie aus, 53 Prozent plus X heißt das Ziel, CSU, nimm dich in acht!
    So, aufgezogen wie ein Uhrwerk, schnurrte man auch die allfällige Weihnachtsfeier ab. Von nichts weniger als Frieden, innerer Einkehr und Besinnung war die Rede. Gespräche und Gedanken kreisten um die Januaroffensive, um Sieg, Beute und Belohnung. Die Älteren sangen das Heldenepos deutscher Fallschirmjäger, das Kretalied. Kerzen und Tannengrün schmückten die Schützengräben.
    Die Werbeagentur hatte sich eine besondere Aufmerksamkeit einfallen lassen: Sie schickte eine wohlproportionierte Blondine, die als CDU-Hostess für den Wahlkampfbus vorgesehen war, im weißen Negligé und mit angeklebten Goldpappflügeln zur Bescherung. Das Mädchen flüchtete, unter Zurücklassung seiner Flügel, noch ehe es sich des letzten Päckchens entledigt hatte. Auf Engels-, nicht auf Landsknechtsdienste war es vorbereitet.
    Doch Monrepos war zum Heerlager geworden. Der kalte Wind, der draußen ums Schloß blies, vermochte das Jagdfieber drinnen nicht mehr zu kühlen.
    Nachtfalter
    Da lag er nun seit Stunden und fand keinen Schlaf.
    Das Zimmer, sein Jugendzimmer, umhüllte ihn mit Erinnerungen, deren Konturen so unscharf waren wie die der Bilder an den Wänden. Doch wie er die Abbildungen kannte ohne sie zu sehen – Stilleben und Landschaften, die er als Schüler gezeichnet und aquarelliert hatte –, so wußte er die Ereignisse, die sein ruheloser Geist

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