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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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Kernstück der Wahlkampfprogrammatik, mochte sie nun gelesen werden oder nicht. Das zog Gespräche mit Landes- und Bezirksvorständen der Partei nach sich – man wurde, auch hier, auf ihn aufmerksam …
    Trotzdem blieb ein schaler Geschmack zurück. Hier, in diesem Zimmer, verspürte er ihn besonders. Hier hatte vor Jahren die Zukunft anders gefunkelt und geglänzt. Hier waren die Ideen hoch und weit geflogen, hinaus in Abenteuerregionen des Geistes und der Fantasie. Das Leben hatte sich als unbegrenztes Versprechen dargeboten, die Jahre prall gefüllt mit Bedeutungsvollem. Daran gemessen, war das reale Jahr, das erste auf Monrepos, vorbeigezogen wie ein Schatten – gestaltlos und flüchtig. Ein verhocktes, zerredetes, in dicken Mauern eingezwängtes Jahr. Mit einer Ausnahme: einem kleinen, leichtsinnigen Ausflug zu einem unwirklichen Tempel.
    Gewiß, an einigen Sonntagen des Sommers und des Herbstes hatte Heike ihn regelrecht entführt. Sie waren zum Spazierengehen in die Weinberge gefahren und abends bei bäuerlichen Wirtschaften eingekehrt, die Wein vom Faß und Vesperteller mit selbstgebackenem Brot anboten. Von einem Urlaub, den sie gemeinsam verbringen wollten, hatten sie geträumt, in Paris, in Nizza, bis nach Griechenland trug sie der milde stimulierende Rausch.
    Vielleicht glaubte seine Freundin anderntags noch daran. Er, Bernhard Gundelach, verwarf es schon morgens beim Zähneputzen wieder, wenn er an die Arbeit dachte, die auf ihn – nein, auf die er wartete. Als brächte schon der Gedanke an Urlaub und Müßiggang eine Entfernung von jenem Ziel mit sich, dem alle, die auf Monrepos ›noch etwas werden wollten‹, nachjagten: in den innersten Kreis der Macht vorzustoßen, die kafkaesk sich auftürmenden Hindernisse zu überwinden, die Türhüter, einer mächtiger als der andere, für sich zu gewinnen, selbst einer von denen zu werden, deren Glanz blendete.
    ›Noch etwas werden wollen‹ – es war eine der Lieblingsvokabeln des mächtigen Müller-Prellwitz. Du bist noch nichts, besagte sie. Aber ich kann dich zu einem Menschen machen, der herausgehoben ist aus der Masse, vorausgesetzt du unterwirfst dich dem unbedingten Dienst an unserer Politik mit derselben Härte und Rücksichtslosigkeit wie wir. Ein elitäres Kastendenken trat da zum Vorschein, der Dünkel einer geheimen Loge, die den Adepten lange dürsten und schmachten ließ, bis sie ihn der Initiation für würdig und des wahren Lebens für wert befand.
    Was war das wahre Leben auf Monrepos? Ein Ball, eine Zauberkugel war es, zwischen wenigen Zimmern hin- und hergerollt. Wer in der Nähe, wer gar immer am Ball war, der hatte nicht ein, der hatte viele Leben. Der konnte im Spiel die Rollen wechseln, mal Mensch sein und mal Habicht, der konnte Grundsätze deklamieren und sie lächelnd zertreten, ihm wurde das eine geglaubt wie das andere. Wer aber ausgeschlossen war, an wem die bunte, schillernde Kugel vorbeirollte, der erkaltete und erstarrte wie die kleine nackte Göttin im Foyer. Der gab, bestenfalls, noch eine Bedeutung heischende, allegorische Pose ab wie Renft und durfte darin mit den Fußbodenmosaiken, den Intarsien und Gobelins wetteifern. Für den wurde Monrepos zur eisgrauen, leblosen Schimäre.
    Aufrecht saß Gundelach jetzt und schaute in das nächtliche Proszenium wie in einen verwunschenen Spiegel. Die Figuren wie Schatten, und hinter den Schatten andere, die aus weiter Ferne herüberwinkten und dabei immer kleiner und trauriger wurden. Die Gefährten von einst. Die Diskutierer, die Unterhaker, die Plakatemaler, die Jazzcafébummler, die Gauloiseraucher. Sie verabschiedeten sich. Endgültig.
    Willst du das wirklich? flüsterte er, und wenig fehlte, er hätte die Arme ausgestreckt. Willst du alles zurücklassen und verraten, was dich einmal befeuert hat? Dein Leben ableiten von denen, die dich zu einem Etwas machen, indem sie dich etwas werden lassen? Dann wirst du bald ein aufgespießter toter Falter sein. Er zog die Decke hoch, weil ihn fror.
    Geh zu Breisinger und bitte ihn, dich von der Wahlkampfarbeit zu befreien. Sag, du kannst die hohlen Sprüche nicht mehr ertragen. Sag wenigstens einmal etwas Widerspenstiges. Tu einmal etwas Unangepaßtes. Danach –.
    Aus dem Wohnzimmer hörte er unterdrücktes Husten.
    Er stand auf und ging hinüber. Heike lag auf dem Sofa und hatte die Augen geöffnet. Wortlos legte er sich neben sie. Die Wärme ihres Körpers ließ ihn erschauern, so daß er die Schultern krümmte und den Kopf so lang in

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