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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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Landeshauptstadt wurde er, und obwohl dieses Amt wenig zu bieten schien, was einen führenden Kopf der Staatskanzlei reizen konnte, setzte er alle Energie ein, es zu erlangen. Mehrmals bedrängte er Breisinger, ihn ziehen zu lassen, und als dieser sich bog und wand und Zeit zu gewinnen suchte, paßte er ihn gar auf der Treppe ab, um ihn weichzuklopfen. Schließlich wurde der Ministerpräsident mürbe und gab nach. In einer spärlichen Feierstunde erhielt Pullendorf seine Bestellung. Kurz darauf erschienen erste Interviews mit ihm, in denen er ankündigte, die Verwaltungsebene, der er nun vorstand, stärken und von der Ministerialbürokratie unabhängiger gestalten zu wollen.
    Pullendorfs Abgang war kaum vollzogen, da platzte die nächste Bombe: Günter Bertsch wechselte als Ministerialdirektor ins Innenministerium. Nüchtern und ohne Aufhebens, wie es seinem Charakter entsprach, räumte er den Schreibtisch, lud die Presseabteilung ein letztes Mal zu sich und bemühte sich nicht, Trennungsschmerz zu heucheln.
    Breisinger gab ihm in der Bibliothek einen Empfang. Auf ihren gemeinsamen Beginn im Innenministerium anspielend, zitierte er ein französisches Sprichwort. On revient toujours a son premier amour, sagte er. Immer kehrt man zu seiner ersten Liebe zurück. Bertsch quittierte es mit nachdenklichem Lächeln.
    Monrepos, ohnehin nur noch mit sich selbst beschäftigt, geriet in Aufruhr. Die Spekulationen überschlugen sich. Dr. Zwiesel, allseits mit der Erwartung konfrontiert, von Breisinger zum neuen Pressechef ernannt zu werden, lief bleich und angespannt umher. Zwei Wochen lang geschah nichts. Dann kam die Nachricht: Nicht Bertschs Stellvertreter, sondern ein gänzlich unbekannter Ministerialrat aus dem Finanzministerium namens Bolder habe das Rennen gemacht. Den Grund dafür wußte niemand. Zwiesel erbat seine Versetzung. Man fand eine Position als Vizepräsident eines Regierungspräsidiums im Osten des Landes für ihn.
    Die Dämme waren gebrochen, das Weltbild des Olymps verkehrte sich. Fast galt es nun als Makel, nicht fortberufen zu werden. Wer in Ermangelung anderer Angebote bleiben mußte, fühlte sich sitzengelassen. Dr. Brendel betrieb ebenso dezent wie zielstrebig seine Berufung zum Rechnungshofpräsidenten und hatte Erfolg damit. Danach gab es keinen plausiblen Grund mehr, die Bewerbung Recks, der als Amtschef ins Finanzministerium strebte, abzuschlagen.
    Binnen weniger Monate hatte die Staatskanzlei ihre gesamte Führungselite eingebüßt. Endzeitstimmung durchzog das Haus.
    Warum? Warum hatte Breisinger das zugelassen? Niemand wußte eine schlüssige Antwort darauf. Dr. Weis sagte: Er hat einen Treuekomplex, das ist seine größte politische Schwäche. Tieftraurig sagte er es, ohne jeden Triumph, schon wieder recht behalten zu haben.
    Monrepos aber hatte mehr verloren als ein paar fähige Köpfe. Der Nimbus war zerstört, die Aura der Unbesiegbarkeit löste sich auf. Als man wieder zur Besinnung kam, fand man sich zurückgeworfen auf den Status einer Dutzendbehörde, die recht und schlecht versuchte, den Neuanfang zu bewältigen. Die Nachfolger standen im Schatten der Ausgeschiedenen, sie wurden an deren von der Erinnerung verklärten Eigenschaften gemessen. Und wie sich für verwaiste Kinder nicht in kurzer Frist ein Elternersatz finden läßt, der dem Gewesenen den Schmerz nimmt, war auch hier die Empfindung zielloser Leere das vorherrschende Element, das den Alltag bestimmte und seinen Gang lähmte.
    Auch Gundelach wurde von der allgemeinen Depression angesteckt, obwohl er sich, bei ruhiger Überlegung, nicht wenig darüber wunderte. Bertsch war beileibe nicht nur sein Freund gewesen. Je ungenierter der junge Emporkömmling, der er in den Augen des Älteren zweifellos war, direkten Umgang mit Breisingers Familie pflegte, um so kälter und abweisender reagierte der Vorgesetzte. Zuletzt schien es, als interessiere ihn des Regierungsrats Schicksal gar nicht mehr. Er hatte ihn wohl, was das gewöhnliche Handwerk einer Pressestelle betraf, abgeschrieben.
    Und doch: Jetzt, da Günter Bertsch gegangen war, merkte Gundelach, wie sehr er ihn gebraucht hatte. Seine Strenge und Unnahbarkeit, die kompromißlose Härte, mit der er machtpolitischen Pfaden folgte – sie waren Instanz gewesen; Orientierungspunkte im Treibsand flüchtiger Beziehungen, in dem herumzustapfen Lust bereitete, solange man sicher sein konnte, daß es auch das andere gab: die feste Erde, den schroffen, felsigen Grund, zu dem sich notfalls

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