Monrepos oder die Kaelte der Macht
Sonderkommission und einen Untersuchungsausschuß. Die Novellierung der Hochschulgesetze, der die Allgemeinen Studentenausschüsse zum Opfer fielen, trieb Tausende von Demonstranten auf die Straße. In Weihl organisierte sich der Protest der Kernkraftgegner zur geschlossenen Bürgerbewegung. Im Parlament geriet die Regierung unter den Dauerbeschuß einer Morgenluft witternden Opposition. Die Medien entdeckten Abnutzungserscheinungen und mahnten die Verjüngung des Kabinetts an. Christdemokratische Gremien, Kaffeekränzchen, so lange die Sonne scheint, begannen zu zischen und zu züngeln. Führungsschwäche wurde geortet, Meinungs- und Popularitätsumfragen machten wie Börsennotierungen die Runde. Die Pressearbeit unter Bertschs Nachfolger Bolder erfuhr heftige Kritik. Früher, hieß es, hätte man auf Monrepos die Journalisten noch im Griff gehabt; jetzt werde nur noch reagiert. Das Stimmungsbarometer zeigte auf Baisse.
Die Delegierten eines Sonderparteitages bestätigten Breisinger zwar unangefochten als Vorsitzenden, wählten aber zugleich Oskar Specht mit satter Mehrheit ins Stellvertreteramt. Nun war er – Chef der Mehrheitsfraktion, zweiter Mann und Hoffnungsträger der Partei – fast so mächtig wie der Ministerpräsident selbst. Wenn er sich jetzt entschloß, ins Kabinett einzutreten, mußte man das als Zeichen von Stärke werten: Hier bereitete sich jemand zielstrebig auf Breisingers Nachfolge vor, indem er die letzte Lücke seiner makellosen politischen Blitzkarriere, die Ausfüllung eines Ministeramts, schloß.
Specht bedachte sich eine Weile, dann griff er zu und formulierte die Bedingungen: Innenminister Gwähr hatte seinen Stuhl freiwillig zu räumen, denn es durfte in der Partei keine Dolchstoßlegende entstehen. Der Wechsel sollte dem größeren, später erfolgenden Revirement vorgezogen werden, um das Außerordentliche dieses Vorgangs zu unterstreichen. Und es mußte ein sachlicher, über alle Zweifel erhabener Grund für die Entscheidung gefunden werden.
Müller-Prellwitz übernahm es, Breisinger die Kautelen nahezubringen. Der sperrte sich und flüchtete in die Weihnachtsferien. Im Engadin erwog er das Für und Wider. Einerseits würde das Regieren mit einem unruhigen, ehrgeizigen Kronprinzen ungleich schwieriger werden als zuvor; man mußte aufpassen, nicht zum Ministerpräsidenten auf Abruf degradiert zu werden. Auf der anderen Seite eröffnete sich die Chance, den jungen Überflieger in die Kabinettsdisziplin einzubinden, die Partei zu besänftigen und auf die Fraktion wieder mehr Einfluß zu gewinnen. Außerdem konnte sich Specht als Polizeiminister bei der Fahndung nach Terroristen die Hörner abstoßen.
Zurückgekehrt aus dem Urlaub, fühlte sich Breisinger stark genug, es auf die Kraftprobe ankommen zu lassen. Gwähr wurde der Amtsverzicht mit dem Versprechen versüßt, der Kultusminister werde seinem Beispiel bald folgen; die Sicherheitslage und der Druck der Öffentlichkeit erforderten jedoch, daß der Posten des Innenministers als erstes neu besetzt werde. Specht erklärte, nach den Vorgängen um die Ermordung seines Freundes Hanns-Martin Schleyers sehe er sich persönlich in der Pflicht, seine ganze Kraft zur Ergreifung der Täter und zur Bekämpfung des Terrorismus einzusetzen. Müller-Prellwitz erhielt Kabinettsrang, was in den Zeitungen als Versuch Breisingers, seinen engsten Vertrauten im Ministerrat zum Gegenspieler Spechts aufzubauen, interpretiert wurde. Specht hatte gegen diese Lesart nichts einzuwenden. Ende Januar 1978 wurde er Innenminister.
An Gundelach glitten die Ereignisse weitgehend ab.
Monrepos hatte seine Faszination eingebüßt, seit dort, wie er es empfand, Mittelmaß eingekehrt war. Seit das Außerordentliche, Bewunderung und Widerspruch Hervorrufende, auf steifen, verlegenen Abschiedsempfängen Stück für Stück aus den Empirezimmern hinausgetragen worden war, so daß es schien, als verkomme das goldblechverzierte Mobiliar zum Requisitenfundus einer Schauspieltruppe, die in ihren besten Zeiten Shakespeare gespielt hatte und sich jetzt mit Boulevardtheater über Wasser halten mußte.
Daß Bolder als Pressechef sich mit dem Formulieren zuweilen schwer tat, war noch eins der kleineren Übel. Bedenklicher schien, wie harmlos alle, die jetzt in den Chefsesseln Platz genommen hatten, agierten – liebenswert und auf anständige Weise harmlos. Renft blühte auf und meldete sich mit doppeltem Eifer zurück; unablässig wurde getagt und geschrieben. Aber die
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