Monrepos oder die Kaelte der Macht
schwer beurteilen, ob ich der Richtige für ihn bin.
Das ist selbstverständlich, stimmte Wiener zu und lehnte sich befriedigt zurück.
Während des Essens drehte sich die Unterhaltung um Belangloses. Der Abgesandte des neuen Innenministers war gewiß ein passabler Schauspieler, doch jetzt gab er sich wenig Mühe, sein verblassendes Interesse an Gundelach zu verbergen. Er hatte seinen Auftrag ausgeführt, Spechts Vorzimmer würde einen Gesprächstermin mit dem Regierungsrat vereinbaren. Mehr brauchte im Moment nicht arrangiert zu werden. In Gedanken war er wohl schon beim nächsten vertraulichen Plausch mit Journalisten oder bei der Zwiesprache mit einem Abgeordneten in einer der vielen Nischen des Landtagsfoyers. Vielleicht ersann er auch eine neue spektakuläre Aktion seines Meisters, der als Chef von zwanzigtausend Polizisten über ein breites, der fantasievollen Nutzung harrendes Einsatzfeld verfügte.
Doch von alldem wußte Gundelach im Steigenberger nichts. Ihn befremdete nur, daß sein Gesprächspartner so gar keine Neigung zeigte, den Inhalt seiner künftigen Tätigkeit, wenn er denn mit Specht handelseinig werden sollte, näher zu erläutern. Das kommt dann schon von selbst! sagte Wiener. Da machen Sie sich mal keine Sorgen.
Sie gingen mit kurzem Händedruck auseinander.
Die Rechnung wie immer an mein Büro! rief Wiener dem Kellner nach, der die Tür aufhielt.
Gundelach gewann aus dem schalen Geschmack, den das Treffen bei ihm hinterließ, die Überzeugung, daß es besser wäre, den Wechsel nicht zu vollziehen. Da war ihm Breisingers ernste und genaue Art doch lieber als dieses oberflächliche Menschenfischen. Noch weniger als Fischspeise mochte er das Gefühl, selbst eine zu sein.
Die Entscheidung wurde ihm indessen abgenommen, denn von Oskar Specht hörte er nichts.
Im Mai erschien in einer Wochenzeitschrift ein Artikel, den Bauer bei der Zusammenstellung des morgendlichen Pressespiegels glatt übersah, weil das Thema, die Praxis der Kriegsgerichtsbarkeit im Dritten Reich, Feinkostlektüre für Historiker war. Um ihn zu lesen, mußte man viel Zeit haben oder einschlägig interessiert sein. Auch der Autor des umfänglichen Beitrags, ein zeitkritischer Dramatiker mit ausgeprägtem Faible fürs Historische, stand nicht für tagespolitische Relevanz.
Es fand sich aber inmitten der detaillierten Schilderungen nazirichterlicher Kruditäten eine Passage, eigentlich nur ein kompliziert verschachtelter Satz, der Breisinger betraf und ihn beschuldigte, noch nach Kriegsende als Stabsrichter in britischer Gefangenschaft NS-Gesetze gegen einen deutschen Soldaten angewandt zu haben. Und wer diese mit einigen unfreundlichen Wertungen gespickte Behauptung aufspürte und zum Gegenstand eines empörten Briefes an Breisinger machte, war niemand anderes als der gebrechliche, aber geistig noch ungemein rege Altministerpräsident, den man zwar zuweilen stützen, niemals jedoch über die Würde des Amtes, das er einst innegehabt, belehren mußte.
Das Schreiben verpflichtete Breisinger, sich zu wehren, was er auch tat, schon um der Staatsraison willen. Klugerweise unterließ er es, die Sache an die große Glocke zu hängen, sich öffentlich zu äußern und damit schlafende Hunde zu wecken. Bis dahin leitete ihn sein Instinkt richtig, denn beraten ließ er sich in Angelegenheiten, die er als ›degoutant‹ empfand, von der neuen Mannschaft nicht. Dann aber übergab er, als sei die politische und die juristische Seite des Falles säuberlich voneinander zu trennen, den Vorgang an seinen Persönlichen Referenten, und Gärtner verfuhr, wie es vereinbart war und sich bewährt hatte. Er beauftragte den Rechtsanwalt, den er immer beauftragte, einen geharnischten Brief zu schreiben, mit Unterlassungsaufforderung, Klageandrohung und Schadensersatzbezifferung im Falle des Zuwiderhandelns.
Die Summe war hoch gegriffen. Beleidigungen durch Dramatiker sind teurer als Anwürfe der Hubers, Meiers und Schulzes.
Niemand war da, der warnend darauf hingewiesen hätte, daß es eine Sache ist, irgendwelche Nörgler mit dem Knüppel juristischer Schritte einzuschüchtern, eine andere aber, sich mit einem Literaten anzulegen, hinter dem die Recherchekapazität und der journalistische Beuteeifer publizistischer Großmächte stehen. Bertsch versuchte im Innenministerium, Spechts Tatendrang in geordnete Verwaltungsbahnen zu lenken, Müller-Prellwitz widmete sich Staats- und Sportgeschäften.
Als die Redaktion der Wochenzeitschrift sich
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