Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
Einzimmerwohnung verkriechen will. Er hat den Verstand verloren. Aber das ist nichts Neues. Ich habe hier schon eine ganze Weile das Gefühl, im falschen Film zu sein! Anfangs dachte ich, er hätte eine Geliebte … Nicht einmal das! Er hat einfach nur die Nase voll. Wovon genau, weiß ich nicht. Und es ist mir auch egal … Ich suche schon lange nach einem Ersatz für ihn.«
Sie sah Joséphine an und dachte an Philippe Dupin. Er wäre definitiv die ideale Beute gewesen. Reich, attraktiv, kultiviert. Sie hatte gehört, er habe eine Schwäche für Joséphine. Sie hätten sogar …
»Ich habe eine ganze Weile an Philippe Dupin gedacht … aber ich habe gehört, dass er seit Neuestem wieder mit einer Frau zusammenlebt …«
»Ach …«, sagte Joséphine und klammerte sich an der Tischkante fest.
Ihre Beine begannen zu zittern, und sie war nicht sicher, ob sie sie noch lange tragen würden.
»Ich habe eine Freundin in London … Sie hat mich gestern angerufen. Anscheinend lebt er mit einem jungen Mädchen zusammen. Wie hieß sie noch gleich? Debbie, Dolly … Nein! Dottie. Sie ist mit Sack und Pack bei ihm eingezogen. Ohne ihn überhaupt zu fragen. Schade! Er hätte mir gefallen. Alles in Ordnung? Fühlst du dich nicht gut? Du bist ja ganz blass.«
»Nein, nein, alles in Ordnung«, murmelte Joséphine, die sich immer noch an den Tisch klammerte, um nicht umzufallen.
»Denn es hieß ja zwischenzeitlich, ihr stündet euch recht nahe …«
»Tatsächlich?«, entgegnete Joséphine, und ihre Stimme klang fremd in ihren Ohren.
»Ach, die Leute reden viel. Wie gemein dir gegenüber. Es sähe dir überhaupt nicht ähnlich, deiner Schwester den Mann auszuspannen …«
Sie wurden durch eine Frau unterbrochen, die in die Küche platzte, die Windbeutel entdeckte und sich mit »Himmlisch, einfach himmlisch«-Rufen auf das Tablett stürzte. Bérengère klopfte ihr auf die Finger, und die Naschkatze entschuldigte sich wie ein auf frischer Tat ertapptes Kind.
»Na los, ihr beiden!«, rief Bérengère. »Hopp, hopp, raus aus meiner Küche … Ich richte meine Windbeutel an, und dann bin ich wieder ganz bei euch …«
Joséphine akzeptierte ein erstes Glas Champagner. Sie fühlte sich matt. Schwach, so schwach. Dann ein zweites, ein drittes. Eine seltsame Leichtigkeit erfasste ihren Körper. Ein genüssliches Prickeln. Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen und betrachtete die Menschen um sie herum.
Es waren die gleichen.
Die gleichen wie früher bei Philippe und Iris, wenn sie Gäste empfingen.
Menschen, die sehr laut reden. Die alles wissen. Sie blättern in einem Buch? Sie haben es gelesen. Sie überfliegen eine Zeitungsnotiz zu einem Theaterstück? Sie haben es gesehen. Sie hören einen Namen? Das ist ihr bester Freund. Oder ihr schlimmster Feind, sie wissen es nicht mehr genau. Je länger sie lügen, desto mehr glauben sie ihre eigenen Lügen. An einem Abend vergöttern sie, am nächsten verabscheuen sie. Was ist passiert, dass sie ihre Meinung ändern? Sie wissen es nicht. Eine bissige Bemerkung, die sie bezaubert, eine wohlformulierte Meinung, die sie beeindruckt hat. Überzeugungen kennen sie nicht. Tiefgründige Analysen noch weniger. Dafür haben sie keine Zeit. Sie wiederholen, was sie gehört haben, manchmal erzählen sie es der Person, von der sie es selbst erfahren haben.
Sie kannte sie auswendig. Sie konnte die Augen schließen und sie beschreiben …
Sie haben keine eigenen Ideen, empören sich aber über alles und jeden. Schwingen große Reden, an denen sie sich berauschen, machen eine Pause, um ihre Wirkung zu prüfen, ziehen eine Augenbraue hoch, um den unverschämten Kerl zum Schweigen zu bringen, der es wagt, ihnen zu widersprechen, und setzen ihren Monolog vor einem faszinierten Publikum fort.
Das ist reiner Gedankennebel. Alle singen die gleiche Melodie. Man muss bloß so tun, als ob … und in den Chor einstimmen, will man nicht wie ein Trottel dastehen.
Joséphine dachte an Iris. Sie hatte sich in diesen Kreisen wohlgefühlt. Hatte ihre üblen Ausdünstungen eingeatmet wie eine große Schüssel reiner, frischer Luft.
Die Wohnung bestand aus einer Abfolge von Salons, Teppichen, Gemälden an den Wänden, tiefen Sofas, Kaminen, schweren Vorhängen. Philippinische Bedienstete trugen Tabletts, die größer waren als sie selbst, durch die Räume. Sie lächelten, entschuldigten sich für ihre schmächtige Gestalt.
Sie erkannte eine Schauspielerin, die früher häufig auf den Titelseiten der
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