Montgomery u Stapleton 02 - Das Labor
Besonders gründlich obduzierten sie Carlo Pacini, der das erste Opfer gewesen war und auf der Orthopädischen Station gelegen hatte. Des weiteren untersuchten sie zwei Krankenschwestern, einen Hilfspfleger, zwei Personen, die Carlo Pacini besucht hatten, unter ihnen auch das neunjährige Mädchen und - was für Jack von besonderer Bedeutung war - eine Frau, die im Zentralmagazin gearbeitet hatte. Nachdem sie ihre anstrengende Arbeit beendet hatten, gingen sie gemeinsam in die Kantine.
Ich hab’ noch nicht viele Meningokokken-Fälle obduziert«, eröffnete Laurie das Gespräch. »Aber was ich heute auf dem Tisch hatte, hat mich wirklich geschockt.«
»Dramatischere Fälle des Waterhouse-Friederichsen-Syndroms gibt es wohl nicht«, stimmte Chet ihr zu. »Von diesen Menschen hatte keiner eine Chance. Die Bakterien sind wie eine Mongolenhorde über ihre Körper hergefallen. Unglaublich, wie viele innere Blutungen sie hatten. Eins sag ich euch - ich hab einen Riesenschiß!«
»Heute morgen habe ich meinen Mondanzug zum erstenmal als wahren Segen empfunden«, sagte Jack. »Unfaßbar, wieviel Gangrän sich an den Extremitäten gebildet hatte. Das war ja noch schlimmer als bei den Pestfällen vergangene Woche.«
»Was mich am meisten überrascht hat, wie wenig von der Meningitis zu erkennen war«, bemerkte Laurie. »Sogar bei dem Mädchen war die Hirnhaut kaum entzündet; gerade bei ihr hätte ich viel deutlichere Merkmale erwartet.«
»Ich habe mich vor allem über das Ausmaß der Pneumonitis gewundert«, sagte Jack. »Wir haben es doch eigentlich mit einer Infektionskrankheit zu tun, die durch die Luft übertragen wird. Normalerweise werden dabei die oberen Bereiche des Atmungstraktes befallen, nicht die Lungen.«
»Sind die Bakterien einmal im Blut, gelangen sie ganz einfach in die Lungen«, erklärte Chet. »Es wurde ja offenbar im Gefäßsystem aller Opfer eine große Menge an Meningokokken festgestellt.«
»Hat einer von euch mitbekommen, ob inzwischen noch weitere Fälle hereingekommen sind?« fragte Jack. Chet und Laurie sahen einander an und schüttelten dann beide den Kopf.
Jack erhob sich und schob geräuschvoll seinen Stuhl zurück. Dann ging er zum Wandtelefon, wählte die Nummer der Telefonzentrale und stellte einem der Vermittler die gleiche Frage. »Also, wenn das nicht komisch ist«, sagte er, als er an den Tisch zurückkam. »Es gibt keine weiteren Fälle.«
»Ich finde, das ist ein ziemlich gute Nachricht«, sagte Laurie. »Dem kann ich nur zustimmen«, schloß Chet sich an. »Kennt einer von euch irgendeinen Internisten im Manhattan General?« fragte Jack.
»Ja«, erwiderte Laurie. »Eine meiner früheren Kommilitoninnen arbeitet im General.«
»Wie wär’s, wenn du sie einfach mal anrufst und fragst, ob sie zur Zeit irgendwelche Patienten mit Meningokokkenmeningitis in Behandlung haben?« schlug Jack vor.
Laurie zuckte mit den Schultern, stand auf und ging hinüber zum Telefon. »Ich mag diesen Blick in deinen Augen nicht«, sagte Chet.
»Ich kann es doch auch nicht ändern«, entgegnete Jack. »Es tauchen schon wieder äußerst beunruhigende Fakten auf. Gerade haben wir die schlimmsten Fälle von Menigokokkenmeningitis zu sehen bekommen, und dann - bumm! Kein einziger, weiterer Fall - als hätte jemand einen Wasserhahn zugedreht. Es ist genauso gekommen, wie ich es euch prophezeit habe.«
»Ist das nicht charakteristisch für die Krankheit?« fragte Chet. »Ich meine, daß sie sich ausbreitet und dann wieder verschwindet.«
»Aber doch nicht so schnell«, erwiderte Jack und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: »Mir ist da gerade etwas eingefallen. Wir wissen doch, wer bei diesem neuen Ausbruch das erste Opfer war. Hast du eine Ahnung, wer zuletzt gestorben ist?«
»Nein, aber das können wir ja in den Akten nachsehen?« sagte Chet.
In diesem Augenblick kam Laurie zurück. »Derzeit gibt es keinen weiteren Fall von Meningokokkenmeningitis«, berichtete sie. »Aber die haben dort keineswegs das Gefühl, über den Berg zu sein. Sie haben eine großangelegte Impf- und Chemoprophylaxe-Kampagne gestartet. In der Klinik herrscht offenbar das totale Chaos.«
Jack und Chet kommentierten Lauries Nachrichten nur mit einem unverständlichen Gegrummel. Sie waren damit beschäftigt, die Akten nochmals durchzugehen, und sich auf ihren Servietten Notizen zu machen. »Was macht ihr da eigentlich?« fragte Laurie. »Wir versuchen herauszufinden, wer als letzter gestorben ist«, erklärte Jack.
Weitere Kostenlose Bücher