Montgomery u Stapleton 02 - Das Labor
leise aneinanderklappernden Plastikteilen hochgeschreckt. Sie öffnete die Augen und sah neben der Kommode einen Hilfspfleger stehen. »Entschuldigen Sie bitte«, sprach sie ihn an. Der Mann drehte sich um. Er sah ziemlich gut aus und trug über seiner Dienstkleidung einen weißen Kittel. Auf die Entfernung konnte Susanne sein Namenschildchen nicht entziffern. Er schien ziemlich überrascht, daß er angesprochen wurde. »Hoffentlich habe ich Sie nicht gestört«, sagte er.
»Jeder stört mich«, klagte Susanne, ohne es böse zu meinen. »Ich komme mir hier langsam vor wie in der Grand Central Station.«
»Es tut mir wirklich leid«, stammelte der Mann. »Ich kann auch später wiederkommen, wenn Ihnen das lieber ist.«
»Was tun Sie da überhaupt?«
»Ich fülle nur Ihren Luftbefeuchter auf.«
»Wozu in aller Welt brauche ich denn einen Luftbefeuchter? Nach meinem letzten Kaiserschnitt habe ich auch keinen gehabt.«
»In dieser Jahreszeit verordnen die Anästhesisten häufig so ein Gerät«, erklärte der Mann. »Viele Patienten leiden nach der Operation unter Halsschmerzen, die von dem Endotrachealtubus herrühren, der während der Narkose in die Luftröhre geschoben wird. Meistens hilft es dann, wenn man am ersten Tag nach der Operation - oder auch nur während der ersten Stunden - für ausreichend Luftfeuchtigkeit sorgt. Soll ich lieber später wiederkommen?«
»Tun Sie, was Sie zu tun haben«, entgegnete Susanne. Kaum war der Mann verschwunden, stand die Krankenschwester wieder im Zimmer. »Sie hatten recht«, sagte sie. »Die Anweisung lautete tatsächlich, den Infusionsschlauch herauszunehmen, als die Flasche durchgelaufen war.« Susanne nickte nur. Am liebsten hätte sie die Schwester gefragt, ob sie die Anweisungen der Ärzte öfter mißachtete. Sie seufzte. Eigentlich wollte sie nur nach Hause. Als die Injektionsnadel entfernt war, beruhigte sie sich und döste wieder ein. Doch ihr schien keine Ruhe vergönnt zu sein. Jemand stupste sie am Arm. Susanne öffnete die Augen und blickte in das lächelnde Gesicht einer anderen Krankenschwester. In der Hand hielt sie eine Fünf-Milliliter-Spritze.
»Ich habe hier etwas für Sie«, flötete sie, als wäre Susanne ein Kleinkind, dem sie nicht eine Spritze, sondern ein Bonbon hinhielt.
»Was ist das?« wollte Susanne wissen und rollte sich instinktiv auf die Seite.
»Das Schmerzmittel, nach dem Sie verlangt haben«, erwiderte die Schwester. »Legen Sie sich bitte ganz auf die Seite, damit ich Ihnen die Spritze geben kann.«
»Ich habe nicht nach einem Schmerzmittel verlangt.«
»Aber natürlich haben Sie das«, insistierte die Schwester. »Nein, das habe ich auf keinen Fall.«
Von einer Sekunde auf die andere verfinsterte sich der Gesichtsausdruck der Krankenschwester. »Dann ist es eben eine Anweisung Ihres Arztes. Jedenfalls sollen Sie alle sechs Stunden eine Spritze gegen Schmerzen bekommen.«
»Aber ich habe kaum Schmerzen«, warf Susanne ein. »Nur wenn ich mich bewege oder ganz tief einatme.«
»Da sehen Sie’s«, sagte die Schwester. »Sie müssen tief einatmen, sonst haben Sie bald eine Lungenentzündung. Kommen Sie schon, drehen Sie sich um!«
Susanne überlegte kurz. Eigentlich wollte sie sich gegen die Spritze wehren, andererseits mochte sie es, wenn man sich um sie kümmerte. Und gegen ein Schmerzmittel war ja nicht viel einzuwenden. Vielleicht konnte sie danach sogar endlich mal richtig schlafen.
»Okay«, sagte sie und rollte sich mit zusammengebissenen Zähnen auf die Seite.
4. Kapitel
Mittwoch, 20. März 1996,14.05 Uhr
Du weißt genau, daß Laurie recht hat«, sagte Chet McGovern. Chet und Jack aßen in ihrem engen Büro im vierten Stock des Gerichtsmedizinischen Instituts. Sie hatten beide die Füße auf ihre grauen Metallschreibtische gelegt. Die für diesen Tag angesetzten Autopsien waren erledigt. Sie hatten zu Mittag gegessen und mußten sich nun der Schreibarbeit widmen.
»Natürlich hat sie recht«, gab Jack zu.
»Wenn du das weißt - warum provozierst du Calvin dann trotzdem? Das ist doch irrational. Du tust dir damit bestimmt keinen Gefallen. Wenn du weiter den Dickkopf spielst, kommst du in diesem System nie nach oben.«
»Ich will auch gar nicht nach oben kommen«, stellte Jack klar. »Sag das noch mal!« rief Chet. Wer in der Hierarchie des riesigen Medizinbetriebs nicht aufsteigen wollte, galt zwangsläufig als Sonderling.
Jack ließ seine Füße auf den Boden plumpsen, stand auf, streckte sich und
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