Moor
hinten offen, mit weitem Horizont und nichts als Luft darin, eine Sprache aus Schnee, das wäre die Lösung.
Falsch, sage ich und schlage dir mit einer Bö den Fensterladen um die Ohren, das ist erst der Anfang der Sprachtortur.Erinnere dich an Mariannes Verhör in ihrer Küche, während draußen die Nacht langsam weiß wurde: bohrende Fragen, die du hartnäckig weggeschwiegen hast, obwohl die Worte in dir heraufdrängten wie niemals zuvor. Du hättest nicht mehr aufgehört zu reden, ein Stotterinferno entfesselt, krachend und kollernd wären all die unbeschreiblichen Gefühle aus dir herausgeplatzt.
hLass hmich!, hast du gegen den Wind angeheult, als die Tante dich über den Heidedamm auf ihren Hof zog. Schneeschleier stoben vor deinen Augen, ließen ihre Züge grob und maskenhaft erscheinen. Keine Widerrede, rief sie und schüttelte dich, heute Nacht bleibst du bei uns! Oder wohin willst du sonst gehen? Sie ließ dich los und eilte mit großen Schritten weiter. Den Rest des Weges bist du mit eingezogenem Kopf neben ihr her, durch die sich rasch verdichtenden Wirbel.
Der Schnee fiel hastig und drängend, als wollte er schnell bedecken, was du gesehen hattest, die Spur verwischen, die nun unwiderruflich gelegt war. In dem wilden Gestöber konntest du kaum die Bahn einer einzelnen Flocke verfolgen. Für einen Moment hieltst du sie mit Augen fest, wie sie herabtrudelte und dich mit sich riss, dann glitt dir die nächste in den Blick, hob dich wieder empor. Plötzlich eine, die größer und schöner war als alle anderen. Sie tanzte auf dich zu, zitterte eine Weile über deiner Stirn, wurde vom Wind erfasst und wieder in die Höhe geschleudert, wo sie sich mit einer anderen Flocke verband und wieder zu stürzen begann.
So ging das bis fast vor die Haustür. Du flogst mit dem Schnee in die Nacht hinaus, durch die weiße Dunkelheit, hast für einen Augenblick sogar all die quälenden Fragen vergessen: wohin die Sanitäter Marga fuhren, ob man sie dirwiederbringt, warum Marianne, deine von Marga so hartnäckig gemiedene Tante, sich plötzlich so mütterlich gab und ob du am Tisch nun neben Hannes sitzen würdest, als sein neuer Bruder.
Du hast dir vorgestellt, im Innern des Schnees zu leben, eingeschlossen von Eiskristallen, die dir glichen und sich doch alle voneinander unterschieden, in feinsten Nuancen; nur eine Libelle mit ihren abertausend Einzelaugen hätte sehen können, dass du die Seele einer Schneeflocke bist, nicht mehr sprach-, doch lautlos, eine reine, zu sich selbst gekommene Stille, die keine Worte mehr hervorpressen muss. Im Innern des Schnees würdest du nicht mehr stottern; seine Bewegung vom Himmel abwärts, der langsame, weiche Fall auf die Erde wäre die vollkommene Syntax: das Geräusch, mit dem er auf einen Ast fällt oder sich auf den Boden schmiegt, dieses für den Menschen nicht hörbare Knistern, wenn das nicht schon zu viel Lärm für den mikroskopischen Konsonanten ist, Anlaut des großen Schweigens, das jedes Wort, das du je gesprochen und verbrochen hast, tilgt und erlöst und jeden Satz, der noch vor dir liegt, bereits in sich trüge, nur ein unbedeutender Ton im absoluten Klang deiner Stimme, denn der Schnee hatte bereits begonnen, den Heidedamm in eine neue, noch nie gesehene Landschaft zu verwandeln.
Beim Blick zurück sahst du dein Zuhause geweißt vor der Nacht, die Dunkelheit bis an die Ränder gedrängt, das blanke Bild, in dem die Leere bereits den Rahmen zu sprengen begann. Marga war darauf längst verschwunden, die Ebene nur mehr Ahnung und Erinnerung, ich selbst ein stummes schwarzweißes Rauschen abseits des Weges. Als Marianne dir unter dem Vordach befahl, den Schnee von Kleidung und Schuhen zu klopfen, hast du beschlossen, von nun an kein Wort mehr zu sprechen.
Du hast den Butterkuchen gegessen, der gar nicht nach Pflanzenfett schmeckte, den Becher heiße Milch getrunken, in den Marianne einen großen Löffel Honig gerührt hatte. An der Küchenwand hing ein Teppichklopfer, aus Weidenruten geflochten und gleich neben dem Kreuz, als wäre in deiner Erinnerung dieses Schlaginstrument das zwangsläufige Beiwerk auf dem ewigen Bild der Bauernküche, so, wie der Todeshügel Golgatha nicht mehr denkbar ist ohne die Antoniuskreuze der Schächer aus dem einfachen Volk, deren stummes, von niemandem bestauntes Siechen und Sterben das Zentrum des Bildes mit dem wehklagenden Gottessohn erst zur Metapher macht.
Ihre Fragen hast du nicht beantwortet. Sie wollte wissen, was Marga am
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