Moorehawke 01 - Schattenpfade
makellos und nicht im Geringsten fragwürdig ! «
Wynter lachte, sie war viel zu erleichtert, um seinen Ärger ernst zu nehmen. Er jedoch wandte sich steif von ihr ab und starrte wieder aus dem Fenster. Erschrocken bemerkte sie, dass er ehrlich wütend auf sie war.
Sie rüttelte an seinem Knie, um seine Stimmung etwas aufzuhellen. »Uns hat man als Kinder beigebracht, dass es Liebes akt heißt, weißt du. Mein Vater erklärte mir, dass es ein Ausdruck von Liebe ist, nicht von Spaß.«
»Das glaube ich gern«, schnaubte Christopher. »Razis halber Ärger besteht darin, dass er beständig den Spaß mit der Liebe verwechselt. Er kann sich innerlich nicht genug lösen, um einfach mal nur Spaß zu haben. Er ist viel zu beschäftigt damit, sich von jedem Paar brauner Augen, das zufällig in seine Richtung schaut, das Herz brechen zu lassen.«
»Aber gewiss …« Sie stockte und setzte sich zurück, erstaunt, sich in einem so ausführlichen Gespräch über derlei
Dinge wiederzufinden, ohne auch nur zu erröten – und noch dazu ausgerechnet mit Christopher . Normalerweise begann sie bei diesem Thema wild zu stottern und lief vor Verlegenheit dunkelrot an. Und doch …
Sie hob den Kopf. Er betrachtete sie verwirrt – einerseits immer noch ärgerlich, andererseits neugierig.
»Gewiss«, fuhr sie fort, ohne den Blick von ihm abzuwenden, »ist es aber doch viel schöner, wenn man liebt?« Das zumindest hatte Lorcan ihr gesagt: dass es eine Fortsetzung der Gefühle war, die sie sich für den Mann aufheben sollte, den sie von ganzem Herzen liebte und der dasselbe für sie empfand. Ihr wurde bewusst, dass sie unbedingt erfahren wollte, was Christopher dazu zu sagen hatte.
»Ich würde sagen, dass es sehr viel schöner ist, wenn man verliebt ist«, sagte Christopher, ihren Blick erwidernd. »Jedenfalls hat mein Vater das behauptet.«
»Aber … du weißt es nicht?«
Er zögerte und senkte die Augen. »Ich habe die beiden Dinge noch nie miteinander verknüpft«, sagte er leise.
»Du warst noch nie verliebt?«
Seine Lippen bewegten sich, er wollte etwas sagen, klappte dann aber den Mund mit einer Grimasse wieder zu. Wynter schluckte. Nach einer Weile hob er den Blick. »Ich habe die beiden Dinge noch nie miteinander verknüpft«, wiederholte er mit einem seiner plötzlichen, unerwarteten Anfälle von Schüchternheit.
Wynter lächelte. »Ich auch nicht«, sagte sie, »da ich ja bisher weder das eine noch das andere erlebt habe.« Ihre Waghalsigkeit erschreckte sie selbst, doch Christopher erwiderte ihr Lächeln nur voller Zuneigung und ließ das Thema auf sich beruhen.
Behagliches Schweigen breitete sich aus, bis Christopher
seufzte und sich mit der Hand über das Gesicht fuhr. Man sah ihm an, dass er vollkommen erschöpft war.
»Razi meint, du sollst warme Tücher auf dein Gesicht legen«, sagte sie. »Damit dein Körper die Verletzungen schneller abstoßen kann.«
»Ja.« Ächzend kam er langsam auf die Füße. »Ich habe warmes Wasser auf dem Feuer.«
»Ich gehe es holen.« Sie sprang auf, doch er winkte ab.
»Nein, nein. Lass nur.« Müde schlurfte er hinaus. »Ich mach das schon selbst, und außerdem würde ich mich gern ein wenig hinlegen, wenn du mich entschuldigst. Ich weiß ja auch, dass du viel zu tun hast …« Seine Stimme wurde leiser, als er sich der Geheimtür näherte.
Wynter stand auf und beobachtete, wie er die Holztafel zur Seite schob. »Razi sagte, du sollst hier auf ihn warten«, erinnerte sie ihn.
»Razi kann mich mal an meinem merronischen Allerwertesten lecken!«, versetzte er erschöpft und verschwand in die Dunkelheit. Die Holztafel klappte hinter ihm zu.
Der Rest des Tages verging über kleineren Erledigungen. Razi kehrte mitnichten innerhalb des nächsten Viertels zurück, Wynter hingegen kam und ging: Sie erledigte Botengänge und sah nach den Pferden. Sie bereitete die Passierscheine für den Tischlertrupp vor und unterzeichnete sie stellvertretend, brachte sie persönlich in die Bibliothek, überprüfte dabei den Fortgang der Arbeiten und überzeugte sich von der Unversehrtheit der Jungen. Sie nahm eine aus der Küche gelieferte üppige Mahlzeit entgegen und ließ Lorcans Portion später unangetastet zurückgehen.
Da Lorcan immer noch erbärmlich fror, ließ Wynter ein
Feuer im Kamin anzünden und ausreichend Nachschub an Brennholz aufstapeln. Schon bald war es in der Kammer so heiß wie in einem Ofen – das Feuer loderte, die Sommersonne brannte durch die Fenster
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