MoR 03 - Günstlinge der Götter
Er war Römer bis in sein Inneres, und das bedeutete, daß er nicht nur übermäßig abergläubisch war, sondern sich auch den Sitten seines Landes bis zum Letzten verpflichtet fühlte. Er mußte gehorchen, denn wenn er ungehorsam war, wie sollte er dann jemals Fortunas Gunst gewinnen? Sie würde nicht länger über seine Unternehmungen wachen, das Glück wäre ihm niemals hold. Denn trotz der lebenslangen Verdammung zum Priesterdasein vertraute er immer noch darauf, daß Fortuna ihn befreien werde. Aber nur, wenn er Jupiter Optimus Maximus so gut, wie es ihm möglich war, diente.
Sein Gehorsam war also keineswegs gleichbedeutend mit einer Aussöhnung, wie Aurelia annahm. Im Gegenteil, Caesars Haß auf das Priesteramt wuchs mit jedem Tag. Und er haßte es um so mehr, als es unter dem Gesetz keinen Ausweg geben konnte. Dem alten Fuchs Gaius Marius war es gelungen, ihn für sein ganzes Leben anzuketten.
Caesar war siebzehn und würde erst in sieben weiteren Monaten achtzehn werden, aber er sah älter aus, und er gab sich wie ein Konsular, der bereits als Zensor gedient hatte. Dabei kamen ihm seine Größe, seine breiten Schultern und seine gut ausgebildeten Muskeln zustatten. Da sein Vater seit nunmehr zweieinhalb Jahren tot war, war ihm verhältnismäßig früh die Rolle des pater familias zugefallen, und er trug sie inzwischen ganz selbstverständlich. Er sah noch ebenso auffallend gut aus wie als Jüngling, obgleich seine Züge männlicher geworden waren. Seine Nase vor allem war, den Göttern sei Dank, länger geworden, hatte sich zu einem wahrhaftigen, mit einem Höcker versehenen römischen Organ ausgebildet und ihn vor einer ebenmäßigen Schönheit bewahrt, die für einen Mann, der sich so sehr danach sehnte, alles zu sein, was einen Mann ausmachte — Soldat, Staatsmann und Liebhaber der Frauen ohne den Verdacht, auch ein Liebhaber der Männer zu sein —, eine große Belastung gewesen wäre.
Caesars Familie, ausstaffiert für einen langen Fußmarsch durch eisiges Wetter, hatte sich im Empfangszimmer versammelt. Einzig Cinnilla durfte mit ihren elf Jahren noch nicht an diesen seltenen Zusammenkünften der ganzen Familie teilnehmen. Doch da stand sie, die kleinste, einzige dunkelhaarige Angehörige des Haushalts. Als Caesar den Raum betrat, suchten ihre blauschwarzen Augen wie immer sein Antlitz. Caesar betete sie an. Er ging zu ihr hin, umarmte sie und drückte ihr einen Kuß auf ihre weiche, rosige Wange. Seine Augen waren geschlossen, er wollte sich durch nichts von dem erlesenen Duft ablenken lassen, der von einem reinlichen, frisch von seiner Mutter gepuderten Kind ausging.
»Mußt du wieder als einzige zurückbleiben?« fragte er und küßte sie nochmals auf die Wange.
»Warte ab, eines Tages werde ich schon groß genug sein«, antwortete sie und lächelte ihn an, wobei sich in ihren Wangen Grübchen bildeten.
»Und ob du das sein wirst! Und dann wirst du noch wichtiger sein als Mater, denn du wirst die Herrin des Hauses sein.« Er streichelte sie über ihr dichtes schwarzes Haar und blinzelte dann Aurelia zu.
»Ich werde niemals Herrin dieses Hauses sein«, erklärte sie ernsthaft. »Ich werde Jupiterpriesterin sein und Herrin in einem Staatshaus.«
»Stimmt«, antwortete Caesar unbekümmert. »Wie konnte ich das nur vergessen?«
Und schon war er draußen und kämpfte sich durch das dichte Schneetreiben an den von Aurelia vermieteten Ladenräumen vorbei bis zu dem dreieckigen Gebäude, das wie eine gewöhnliche Taverne wirkte. Hier hatte die Kreuzwegbruderschaft ihren Sitz, die sich um die Wohlfahrt und das geistige Leben des Kreuzweges vor ihren Türen kümmerte, insbesondere aber um den turmartigen Schrein der Laren und den großen Brunnen, an dem sich jetzt unzählige Eiszapfen gebildet hatten. Ja, es war ein außergewöhnlich kalter Winter.
Lucius Decumius saß wie gewohnt hinter seinem Tisch in der hinteren linken Ecke des weitläufigen, sehr reinlichen Raumes. Seine Haare waren grau geworden, aber sein Gesicht war noch unberührt von Falten. Erst vor kurzem hatte er seine beiden Söhne in die Vereinigung aufgenommen und versuchte jetzt, ihnen die vielfältigen Aktivitäten der Bruderschaft nahezubringen. Sie saßen zu seinen Seiten wie die Löwen, die stets die Statuen der Großen Mutter flankierten — massig, mit gelbbrauner, dichter Mähne, stechend gelben Augen und eingezogenen Klauen. Nicht daß Lucius Decumius der Großen Mutter ähnlich sah, er war ein schmächtiger, unscheinbar
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