MoR 03 - Günstlinge der Götter
verdeutlichte Roms Verzweiflung, die Ängste und Sorgen, welche die Stadt plagten. Viele, die ihre Stimme dem jungen Marius gegeben hatten, waren auch zutiefst davon überzeugt, daß er wenigstens einen Teil der Anlagen seines Vaters geerbt hatte, daß unter ihm ein Sieg gegen Sulla wieder in den Bereich des Möglichen rückte.
In einer Hinsicht trug das Wahlergebnis überreiche Früchte: Die jungen Männer strömten, vor allem in Etruria und Umbria, zuhauf zu den Waffen. Die Söhne und Enkel von Gaius Marius’ Klienten schlossen sich frohgemut und zuversichtlich den Legionen seines Sohnes an. Und als der junge Marius die riesigen Ländereien seines Vaters aufsuchte, wurde er als Retter gepriesen und von den Menschen bejubelt.
Rom legte sein Festtagsgewand an, der Inauguration seiner neuen Konsuln am ersten Tag des neuen Jahres beizuwohnen. Und Rom wurde nicht enttäuscht. Der junge Marius trug während den Zeremonien eine strahlende Glückseligkeit zur Schau, mit der er die Herzen all derer, die ihn erblickten, eroberte; großartig, wie er aussah! Er lächelte, winkte und grüßte bekannte Gesichter in der Masse. Und da jedermann wußte, wo seine Mutter stand (zu Füßen der riesenhaften Statue ihres verblichenen Ehemannes neben der Rostra), wurden auch alle Zeugen, wie der frischgebackene erste Konsul seinen Platz in der Prozession verließ, zu seiner Mutter eilte und ihr Hände und Lippen küßte — und seinen Vater mit einer Geste der Tapferkeit ehrte.
Vielleicht, dachte Carbo zynisch, war es das, was das Volk in dieser Stunde brauchte: die Macht der Jugend. Wie lange war es her, daß die Massen einem neugewählten Konsul am Tag seiner Inauguration so vorbehaltlos zugejubelt hatten? Geben die Götter, daß Rom dereinst diesen Kuhhandel von Wahl nicht wird bereuen müssen. Bisher hatte sich der junge Marius sehr anmaßend aufgeführt; er schien es als gegeben hinzunehmen, daß ihm alles von selbst in den Schoß fallen werde, daß er nicht dafür arbeiten müsse, daß die Schlachten der Zukunft schon geschlagen und gewonnen seien.
Die Omen waren nicht gut, obgleich den neuen Konsuln bei ihrer Nachtwache auf dem Kapitol nichts Unziemliches zu Gesicht gekommen war. Was düster über allem hing, war eine Lücke, eine Lücke von solchem Ausmaß, daß keiner sie übersehen oder ignorieren konnte. Dort, wo sich der mächtige Tempel des Jupiter Optimus Maximus seit fünfhundert Jahren auf dem höchsten Punkt des Kapitols erhoben hatte, lag nur noch ein Haufen verkohlter Schutt. Am sechsten Tag des Quintilis des eben erst zu Ende gegangenen Jahres war im Innern der Heimstatt des Großen Gottes ein Feuer ausgebrochen und hatte sieben Tage lang gewütet. Nichts war übriggeblieben, gar nichts. Der Tempel war so alt gewesen, daß er, abgesehen von dem Podium, ganz aus Holz erbaut worden war. Die massiven Säulentrommeln der schlichten dorischen Säulen waren ebenso aus Holz gewesen wie die Wände, das Sparrenwerk und die Innenverkleidung. Allein die schiere Größe und Massigkeit des Tempels, die seltenen und kostbaren Farben, die hervorragenden Wandmalereien und die überreichen Goldverzierungen hatten das Bauwerk in den Rang einer angemessenen Heimstatt für Jupiter den Besten und Größten, der ausschließlich an diesem Ort lebte, erhoben.
Nachdem sich die Asche genügend abgekühlt hatte, konnten die Priester die Unglücksstätte in Augenschein nehmen. Nun jagte eine Schreckensnachricht die andere. Von der gigantischen Terrakottastatue Jupiters, die der etruskische Bildhauer Vulca unter König Tarquinius’ Regentschaft in Rom erschaffen hatte, war nicht eine Spur übriggeblieben. Auch die Elfenbeinstatuen von Juno, der Gemahlin des Jupiter, und ihrer Tochter Minerva waren ein Raub der Flammen geworden; dasselbe galt für die Abbilder der in dem Tempel untergeschlüpften Untermieter, des Grenzgottes Terminus und Juventas, der Göttin der Jugend, die sich geweigert hatte, ihren Platz zu verlassen, als König Tarquinius mit dem Bau der Heimstatt für Jupiter Optimus Maximus begonnen hatte. Gesetzestafeln und uralte Aufzeichnungen waren verbrannt, ebenso wie die Sibyllinischen Bücher und zahllose andere prophetische Zeugnisse, die Rom in Krisenzeiten zur Orientierung gedient hatten. Unzählbar auch die aus Gold und Silber gefertigten Schätze, die in den Flammen geschmolzen waren, selbst die massivgoldene Statue der Victoria, die ihr Hieron aus Syrakus nach der Schlacht am Trasimenersee gewidmet hatte, und die
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