MoR 03 - Günstlinge der Götter
Soldaten boten den Scharfschützen auf der Belagerungsmauer ein leichtes Ziel. So wählte der junge Marius die jüngsten und gewandtesten Burschen dafür aus und ließ ihnen ein notdürftiges Holzdach zimmern, unter dem sie einigermaßen sicher waren. Jenseits der Gefahrenzone mühte sich eine andere Gruppe von Soldaten damit ab, aus Planken und Bohlen, die für den Turmbau nicht taugten, eine Art Brücke zusammenzufügen, die sie, wenn es soweit war, über den Wallgraben legen konnten, um darauf den Turm an die Mauer zu schieben.
Nach einem Monat harter Arbeit war der Bau fertig. Auch die Rampe war aufgeschüttet und die notdürftige Brücke zusammengefügt. Aber auch Ofella hatte mehr als genug Zeit gehabt, seine Verteidigungsmaßnahmen vorzubereiten. In einer dunklen Nacht wurde die Brücke über den Graben gelegt und der an allen Ecken ächzende und knarrende Turm über die mit Schaffett und Öl eingeschmierte Rampe vorgeschoben. Als der Morgen dämmerte, stand der Turm, der die Belagerungsmauer um gute zwanzig Fuß überragte, an seinem Platz. In seinem Inneren hing an mit Pech verstärkten Seilen ein gewaltiger Rammbock, ein einziger riesiger Balken, der zuvor im Tempel der Fortuna Primigenia, der erstgeborenen Tochter des Jupiter und der Beschützerin Italiens, die Decke getragen hatte.
Aber da es mehrere Jahre dauert, bis Tuffgestein ganz hart wird, schwangen Marius’ Soldaten den gewaltigen Rammbock vergeblich gegen die Belagerungsmauer. Die noch weichen Tuffblöcke erbebten zwar unter der Gewalt der Schläge, bröckelten teilweise und zeigten auch erste Risse, aber sie hielten dem Ansturm stand, bis die von den Katapulten der Belagerer abgeschossenen Brandsätze den Turm in eine riesige Fackel verwandelten. Unter dem Hagel der von den Verteidigern gegen sie geschleuderten Speere und Pfeile rannten die Angreifer, oft mit brennenden Haaren, um ihr Leben. Bei Anbruch der Nacht lag der Turm ausgebrannt und in sich zusammengefallen in dem Wallgraben, und die Angreifer waren entweder tot oder hatten sich nach Praeneste zurückgezogen.
Im Oktober versuchte der junge Marius mehrmals, die über den Graben führende Brücke und die Überreste des Turms für seine Zwecke zu nutzen. Er ließ den Zwischenraum zwischen der Belagerungsmauer und dem Wallgraben an einer Stelle überdachen. Zuerst versuchten seine Soldaten, im Schütze des Daches einen Gang unter der Mauer durch zu graben, als nächstes versuchten sie, die Mauer selbst zu durchbrechen, und schließlich, sie zu besteigen. Doch alle Mittel versagten, und der vor der Tür stehende Winter drohte ebenso hart und kalt zu werden wie der letztjährige. In Praeneste gingen die Nahrungsmittel zur Neige, und die Bewohner der Stadt verfluchten den Tag, da sie den Sohn des Gaius Marius aufgenommen hatten.
Die neunzigtausend Mann starke samnitische Streitmacht war nicht, wie Sulla angenommen hatte, nach Aesernia gezogen, sondern hatte sich in der wilden Bergregion südlich des Fuciner Sees ein Lager errichtet. Zwei Monate lang wurden die Legionäre eisernem Drill unterzogen, den sie nur zu gelegentlichen, der Versorgung dienlichen Streifzügen durch die nähere Umgebung unterbrachen. Pontinus Telesinus und Brutus Damasippus hatten Mutilus in Teanum aufgesucht. Er hatte ihnen einen Weg gezeigt, wie sie Sulla umgehen und auf Rom marschieren konnten. Den jungen Marius müßten sie endgültig sich selbst überlassen, ihre einzige Chance bestehe darin, Rom zu erobern. Dadurch würden sie Sulla und Ofella zu einer Belagerung der Stadt zwingen, ein Unterfangen, das um so verzweifelter sein würde, weil Sulla sich nicht sicher sein konnte, ob die Bewohner Roms am Ende nicht zu den Samnitern überlaufen würden.
Mutilus wußte von einer Straße über die Berge, die von der Melfaschlucht zur Via Valeria führte. Diese Straße, oder treffender: dieser Viehweg führte von dem im hinteren Melfatal gelegenen Atina durch die unwegsame Berglandschaft in das Tal des Liri und über Sora weiter nach Treba und Sublaquaeum, bis er eine knappe Meile östlich von Varia bei einem kleinen Dorf namens Mandela in die Via Valeria mündete. Der Weg war weder gepflastert noch auf einer Karte verzeichnet, und doch wurde er seit vielen Jahrhunderten von den Hirten der Gegend benutzt. In den warmen Sommermonaten trieben sie ihre Herden auf diesem Pfad auf die hochgelegenen Weiden und im Herbst hinunter nach Rom, zu den Viehmärkten oder in die Schlachthäuser des Campus Lanatarius und des Vallis
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