MoR 03 - Günstlinge der Götter
Camenarum außerhalb der aventinischen Mauer.
Hätte sich Sulla an seine eigene Reise von Fregellae an den Fuciner See erinnert, wo er Gaius Marius im Kampf gegen Silo und die Marser beigestanden hatte, dann wäre ihm dieser alte Viehweg vielleicht eingefallen. Schließlich war er ihm von Sora bis Treba gefolgt und hatte ihn dabei keineswegs unbegehbar gefunden. Doch Sulla war damals bei Treba von dem Pfad abgewichen und hatte nicht daran gedacht, sich über dessen weiteren Verlauf im Norden kundig zu machen. So brachte ihn seine Vergeßlichkeit um die Chance, Mutilus’ Strategie zu durchkreuzen. Überzeugt, daß die einzige dem Samniter für einen Angriff auf Rom offenstehende Straße die Via Appia sei, hielt Sulla hinter seinem Bollwerk auf der Via Latina Wache; er glaubte sich dort gegen Überraschungen aller Art gefeit.
Unterdessen folgten die Samniter und ihre Verbündeten dem Hirtenweg durch einen Landstrich, dessen Bewohner ebensowenig Sympathien für Rom übrig hatten wie sie selbst und der weit jenseits der Reichweite von Sullas Spähernetz lag. Problemlos passierte die samnitische Streitmacht Sora, Treba und Sublaquaeum, bis sie bei Mandela auf die Via Valeria stieß. Rom war jetzt kaum mehr dreißig Meilen entfernt, ein knapper Tagesmarsch auf der hervorragend instandgehaltenen Via Valeria, die durch Tibur und das Tal des Anio führte und schließlich auf dem Campus Esquilinus vor dem Doppelwall, dem Agger Roms, endete.
Da dies jedoch nicht der beste Platz für einen Angriff auf Rom war, bog die samnitische Streitmacht unter der Führung von Pontius Telesinus und Brutus Damasippus von der Via Valeria ab und folgte einem diverticulum, das vor der Porta Collina in die Via Nomenta mündete. Dort stand, als ob es auf sie gewartet hätte, das Lager des Pompeius Strabo, das seit Roms Belagerung durch Cinna und Gaius Marius Wind und Wetter getrotzt hatte. Am letzten Tag des Oktober, noch vor Einbruch der Nacht, hatten sich Pontius Telesinus, Brutus Damasippus, Marcus Lamponius, Tiberius Gutta, Censorinus und Carrinas in dem Lager eingerichtet. Am nächsten Morgen wollten sie Rom angreifen.
Kaum war die Nacht des letzten Oktobertages hereingebrochen, erfuhr Sulla von dem Aufmarsch der neunzigtausend Samniter vor der Porta Collina. Er hatte zwar ausgiebig dem Wein zugesprochen, war aber noch nicht schlafen gegangen. Kurz darauf schreckten Trompetenstöße und Trommelwirbel die Soldaten auf. Sie erhoben sich schlaftrunken von ihren Strohsäcken, überall leuchteten Fackeln auf. Sulla, inzwischen wieder stocknüchtern, rief seine Legaten zusammen und erklärte ihnen die Lage.
»Die Samniter haben uns ausgetrickst«, verkündete er düster. »Wie sie nach Rom gelangt sind, weiß ich nicht. Tatsache ist, daß sie vor der Porta Collina stehen und die Stadt jeden Moment angreifen können. In der Morgendämmerung brechen wir auf. Vor uns liegen zwanzig Meilen über zum Teil hügeliges Gelände, aber wir müssen Rom erreichen, bevor die Samniter angreifen.« Sulla wandte sich an Octavius Balbus, den Kommandeur der Reiterei. »Wie viele Reiter hast du am Nemi-See stehen, Balbus?«
»Siebenhundert.«
»Du brichst sofort auf. Nimm die Via Appia und spute dich! Du wirst etliche Stunden vor den Fußtruppen dort sein, das bedeutet, daß du die Samniter eine Zeitlang ohne unsere Hilfe hinhalten mußt. Es ist mir egal, wie. Hauptsache, du hältst sie auf, bis ich eintreffe.«
Octavius Balbus verschwendete keine Zeit auf eine Antwort. Noch bevor Sulla sich wieder zu den anderen Legaten umgewandt hatte, war er schon vor das Zelt geeilt und rief nach seinem Pferd.
Erschreckt, aber beileibe nicht vor den Kopf geschlagen, standen die vier anderen Legaten, Crassus, Vatia, Dolabella und Torquatus, in Sullas Zelt.
»Wir haben acht Legionen, die müssen uns reichen«, sagte Sulla, »auch wenn es bedeutet, daß aufjeden unserer Männer zwei Samniter kommen. Am besten legen wir jetzt gleich unsere Strategie fest. Wer weiß, ob uns dazu noch Zeit bleibt, wenn wir vor der Porta Collina stehen.«
Schweigend betrachtete er seine Legaten. Wer von ihnen würde die Härte beweisen, die vonnöten war, seine Soldaten in einer fast aussichtslosen Schlacht zu führen? Vom Rang her kamen eigentlich nur Vatia und Dolabella in Frage. Aber waren sie die Besten? Seine Augen blieben auf Marcus Licinius Crassus hängen, der wie ein großer Fels vor ihm stand, nach außen hin die Ruhe selbst, in seinem Inneren von Habgier zerfressen, ein Dieb und
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