Morbus Dei: Im Zeichen des Aries: Roman (German Edition)
immer mehr bewusst, dass sich Alain in dieser Frage ganz auf sie verließ. Beim Gedanken daran musste sie beinahe laut auflachen. Gerade sie, die bis vor wenigen Monaten nichts anderes kannte als ihr Dorf tief in den Tyroler Bergen, sollte nun die Führung übernehmen!
Aber man wächst nur mit der Herausforderung. Das hatte Johann einst behauptet, und nach allem, was sie seit ihrer Flucht aus dem Dorf erlebt hatte, stimmte sie ihm zu.
Sie hatten heute den Grat des Semmerings passiert; wenn sie der Straße bergab folgten, würden sie also schon bald nach Leoben kommen. Und kurz danach nach Göss mit seinem Nonnenkloster, von dem ihnen Pater von Freising so viel erzählt hatte. Besonders von der Gastfreundschaft der Äbtissin Katharina Benedikta von Stürgkh. Elisabeth musste schmunzeln, da sie sich ausgerechnet diesen absonderlich klingenden Namen gemerkt hatte.
Das Dunkel in ihren Gedanken lichtete sich, das Ziel wurde klar. Und vielleicht würde Johann, wenn er dem südlichen Jakobsweg folgte, ebenfalls dort Halt machen.
„Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg eben zum Propheten kommen“, hatte Josefa gesagt, wenn der Preuße wieder einmal unnötig stur blieb. Und Elisabeth wusste: Genau dies würde sie tun.
Langsam fielen ihr die Augen zu und sie stürzte in unwirkliche Traumlandschaften …
Das Wiehern eines Pferdes holte Elisabeth zurück in die Wirklichkeit. Sie lugte durch das Loch.
Fünf Gestalten standen vor dem Bauernhaus, die letzte hielt die Zügel der Pferde. Als die Tür des Hauses geöffnet wurde, erhellte der Schein einer Lampe die Umrisse der Gestalten. Das Licht und der Regen verlieh ihnen einen besonderen Schein, gleich den Heiligen auf den Gemälden, die Elisabeth im Dom zu St. Stephan bewundert hatte.
Nach einigen kurzen Worten, die Elisabeth aufgrund der Entfernung nicht verstehen konnte, gingen vier der Gestalten ins Haus, die fünfte Gestalt führte die Pferde in den angrenzenden Stall.
Nicht noch mehr Söldner, schoss Elisabeth in den Sinn, nicht noch mehr Männer, deren Aufgabe es war, anderen das Leben zu rauben. Vorsichtig wandte sie sich vom Loch ab und deckte sich fast vollständig mit Heu zu.
Sie würden die Scheune noch vor dem Morgengrauen verlassen müssen.
Elisabeth schloss die Augen, aber sie konnte nicht einschlafen. Es war vor allem ein Bild, das ihr nicht aus dem Sinn ging: die Gestalt, die die Pferde in den Stall führte.
Die Pferde …
XXVII
Die Stube des Bauernhauses, in der Johann stand, strahlte eine so behagliche Wärme aus, wie er sie nur aus dem Haus von Elisabeths Großvater kannte.
Im Tyrol eines anderen Lebens.
Der Preuße klopfte ihm auf die Schulter, dann streifte er seinen durchnässten Lederumhang ab und setzte sich mit einem dankbaren Lächeln an den Tisch, an dem bereits ein Knabe und eine alte Frau saßen. Daneben stand eine bemalte Holzkrippe, in der ein Kleinkind schlummerte.
„Ist gleich soweit“, sagte eine Frau mittleren Alters, die einst sehr hübsch gewesen sein musste, nun aber von der Härte des Lebens gezeichnet war. Sie rührte mit einem Holzlöffel den Eintopf, der in einem großen Bleikessel am Herd köchelte.
„Setzt euch, wir haben genug für alle“, hieß der Herr des Hauses Johann und seine Kameraden willkommen. „Bei einem solchen Wetter sollte niemand ohne Dach über dem Kopf sein, in Gottes Namen.“
„Wir danken euch von ganzem Herzen“, sagte Karl und meinte es auch so. „Der heutige Tag war einer von jenen, die man gern ungeschehen machen würde.“
Johann und die andern entledigten sich ebenfalls ihrer durchnässten Kotzen und gesellten sich an den Tisch. Wolff prüfte den Sitz seines Wundverbandes und beschwichtigte den Knaben mit einem Kopfschütteln, als er dessen erschrockenen Blick bemerkte.
Johann erkannte in der alten Frau am Tisch jene wieder, die zuvor der Kutsche die Stoffe entrissen hatte und nickte ihr müde zu. Sie lächelte zaghaft zurück und bekreuzigte sich. „Die armen Menschen“, wiederholte sie erneut, die Männer schmunzelten bitter.
Hans kam zur Tür herein und rieb sich die klammen Hände. „Die Pferde sind für die Nacht versorgt.“ Auch er zog seine Kotze aus und setzte sich.
Die Mutter stellte den Kessel in die Mitte des Tisches und nahm ebenfalls Platz. Sie ergriff die Hände ihrer Nachbarn, die anderen am Tisch taten es ihr gleich.
Wortlos schlossen sie die Augen und verharrten einige Augenblicke.
„Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen
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