Morbus Dei: Im Zeichen des Aries: Roman (German Edition)
und Trauer sind irgendwann schwächer geworden. Sie sind nicht vergangen, aber man kann mit ihnen leben. Muss mit ihnen leben.“ Er deutete auf den Hof. „Das hier war einst ein fröhliches Haus, aber so wie damals wird es nie mehr sein. Trotzdem sind wir noch da – und das ist es scheinbar, was der Herrgott von uns will. Dableiben und weitermachen.“
„Wenn du das glaubst, dann ist das auch in Ordnung.“ Johanns Stimme war sehr ruhig.
Der Bauer blickte ihn an. „Ich erkenne, wenn Menschen von Rache verzehrt werden. Ich war einer von ihnen. Natürlich kann ich dir nichts vorschreiben, ich kann dir nur einen Rat geben: Lebe! Durch Vergeltung kannst du nur verlieren.“
„Ich habe nichts mehr zu verlieren.“
„Jeder hat etwas zu verlieren.“
„Ich nicht. Aber ich danke dir für deinen Rat.“
„Mehr kann ich nicht tun.“ Der Bauer drehte sich achselzuckend um und ging auf den Eingang zu.
„Wo, hast du gesagt, ist dein Sohn gestorben?“, fragte Johann.
Der Bauer blieb stehen. „In Italien, gegen die Franzosen.“
„Ich kannte den Mann, der dort unten den Oberbefehl hatte. Er war auch verantwortlich dafür, dass die Werber überall nach ‚Freiwilligen‘ gesucht haben.“ Johann lächelte, dass dem Bauer eine Gänsehaut über den Rücken lief. „Wenn es dir Genugtuung verschafft: Dieser Mann ist tot.“
„Aber –“
„Glaub mir.“
Und als Johann so dastand, im Mondlicht – da glaubte der Bauer ihm.
XXXV
Sophie kämpfte sich den rutschigen Hang hinauf. Immer wieder verharrte sie und versuchte, zu Atem zu kommen.
Nächtliche Stille umgab sie, der Neumond verschwand hinter dichten Wolken. Sie fröstelte, konnte sich nicht erinnern, jemals einen so kalten Frühsommer erlebt zu haben. Die Tage, an denen es nicht gestürmt hatte, konnte man fast an einer Hand abzählen.
In einiger Entfernung waren Gestalten zu erkennen, die ebenfalls die steilen Felder erklettert hatten und mit der Aussaat begannen. Mühsam setzten sie jedes Korn einzeln in den Erdboden.
Obwohl Sophie schon mehrmals bei der nächtlichen Saat dabei gewesen war, konnte sie sich nicht daran gewöhnen: Die Stille, in der sich alles vollzog, die schattenhaften Gestalten, die kalte Erde – nichts daran stimmte, es war wie ein Zerrbild ihres früheren Lebens.
Sophie ließ den Sack, der die Körner enthielt, zu Boden sinken. Unbewusst rieb sie sich den Arm, aber der Schmerz hatte mittlerweile nachgelassen. Heute, als sie mit Jeremias und Notburga untertags gesät hatte, war die Sonne überraschend zwischen den Wolken hervorgetreten. Sie hatte die beiden anderen, obwohl dick vermummt, schon nach kurzer Zeit in die Dunkelheit der Häuser vertrieben.
Sophie hatte länger ausgehalten, jedoch ihren Arm zu lange ungeschützt der Sonne ausgesetzt. Der Schmerz war fürchterlich gewesen, ein Gefühl, als ob ihre Haut versengt würde. Vor einigen Monaten war Sophie das schon einmal passiert, aber damals war der Schmerz bei Weitem nicht so stark gewesen.
Das hieß für sie, dass es schlimmer wurde.
Nicht, dass Sophie überrascht war – letztendlich wusste niemand, warum sich die Krankheit so verschieden auswirkte. Manche der Ausgestoßenen waren zu Rasenden geworden, zu wahren Teufeln – wie Jakob Karrer. Aber die meisten lebten gezeichnet von den äußeren Merkmalen der Krankheit und nicht imstande, sich im Tageslicht zu bewegen. Wieder andere hielten die Sonne eine Zeitlang aus, so wie Sophie.
Wenn die Krankheit nun schlimmer wurde – was blieb ihr dann?
Der Mond trat hinter den Wolken hervor und zeichnete die Umrisse des stillen Dorfes nach, das unten im Kessel lag. In seinem kalten Licht wirkten die Ruinen noch schwärzer.
Nichts blieb.
Sophie blickte zu den Bergen hinauf. Das Leben hier war immer hart gewesen und hatte fast nur aus Arbeit bestanden, und natürlich waren sie immer da gewesen, in den Wäldern, und doch – es hatte Augenblicke gegeben, die einen alles vergessen ließen.
Der eisblaue Himmel in den Tagen nach Weihnachten und die dicken Schneedecken, die in der Wintersonne funkelten, dass es einen blendete.
Die Morgendämmerung an den Frühlingstagen, das taufeuchte Gras und die ersten süß duftenden Blumen.
Die Sommertage, wenn man in einer blühenden Wiese lag, die von der Sonne warm war, und den Wind genoss, der die nackten Arme streichelte.
Was war das Leben ohne Sonne? Tag für Tag hinter geschlossenen Türen, in immerwährendem Zwielicht? Eine ewige Nacht, mit ihnen ?
Der Mond verschwand, für
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