Morbus Dei: Im Zeichen des Aries: Roman (German Edition)
die Kleiderbewahrerin, die Verwalterin und die Pförtnerin, die sie ja schon kennengelernt hatten. Über allem standen natürlich der Pater Supremus und seine Kaplane, die den Nonnen die Beichte abnahmen und die Gottesdienste abhielten.
Die drei passierten den Kreuzgang und das Refektorium, dann kamen sie zu einem hellen Raum mit großen Fenstern, dessen Wände mit Teppichen bespannt waren. An einer Seite war eine vergitterte Öffnung in die Wand eingelassen.
„Das Parlatorium. Hier empfängt die ehrwürdige Mutter Besucher von außerhalb“, erklärte Johanna ungefragt. „Wie ich gesagt habe – der letzte war der Kaiser“, fügte sie hinzu, und die Neugier in ihrer Stimme war unverkennbar. „Kann es sein, dass ihr mir etwas vorenthalten habt?“
Alain grinste. „Ich versichere dir, dass ich nicht der Kaiser bin.“
Johanna lächelte zurück. „Soweit bin ich auch schon.“
„Johanna! Lass uns allein!“
Die drei erschraken – die Stimme schien aus dem Nichts zu kommen. Dann sahen sie einen Schatten hinter der vergitterten Öffnung. Die Äbtissin war also bereits da.
Johanna nickte Elisabeth und Alain kurz zu, dann verließ sie eilends den Raum.
„Kommt näher.“ Die Stimme klang entschlossen, aber nicht unfreundlich. „Ihr kennt also Pater Konstantin von Freising?“
Elisabeth nickte.
„Erzählt.“
Elisabeth zögerte.
Mit einem Mal wurde die Stimme weicher. „Mein Kind – alles, was du mir hier erzählst, bleibt zwischen dir und mir. Du kannst mir vertrauen.“
Elisabeth glaubte ihr.
Als sie geendet hatte, stand Schweigen im Raum. Auch Alain war verblüfft von Elisabeths Geschichte.
„So viele – tot …“ Die Stimme der Äbtissin war tonlos.
Elisabeth beugte sich näher zur Öffnung. „Nur weil Pater von Freising so freundlich war, uns Euren Namen zu nennen, sind wie hier. Ehrwürdige Mutter – könnt Ihr uns helfen?“
Stille.
„Ehrwürdige Mutter?“
Alain beugte sich ebenfalls näher zum Fenster, schüttelte dann den Kopf. „Hier ist niemand.“
Plötzlich bewegte sich einer der Teppiche und glitt zur Seite, eine Frau trat aus einer dahinter verborgenen Tür.
Elisabeth war für einen Moment, als stünde ihr eine engelsgleiche Gestalt gegenüber. Das Gesicht war faltenlos, die Augen leuchteten dunkel und kraftvoll. Anders als bei den Chorfrauen wurde die Haube der Äbtissin mit zwei gestärkten Spitzen geschmückt, in die der Unterschleier geformt war, was ihr eine erhabene Erscheinung verlieh.
„Zeigt mir euer Gesicht.“
Elisabeth und Alain blickten sich kurz an – dann nahmen sie die Kapuzen ab.
Die Äbtissin sog scharf die Luft ein, hatte sich aber sofort wieder unter Kontrolle. „Dann hat er die Wahrheit gesprochen.“
„Ehrwürdige Mutter, wen –“
Die Äbtissin drehte sich um. „Folgt mir.“
XXXIX
Dunkelheit umfing ihn, trieb ihn wieder und wieder zurück in jene Nacht. Er stand vor den Gruben, war bei ihnen , erteilte den Segen. Sah zu, wie sie starben.
Blickte in die Augen eines Todgeweihten, hörte seine Stimme.
Bleibt am Leben, auf dass wir nicht vergessen werden.
Mitternacht, der vergessene Friedhof, von Weitem die Glocken von St. Stephan. Er durchbohrte den Soldaten mit dem Degen, erschoss den zweiten, blickte in die verzweifelten Augen des dritten, der vor ihm zurückwich.
Seid Ihr des Wahnsinns? Ihr seid ein Mann Gottes und –
Ich weiß, wer ich bin. Und ich weiß, dass Gott mir angesichts dessen, was du heute angerichtet hast, verzeihen wird.
Bitte –
Der Schuss, das Fallen des leblosen Körpers. Das Verstummen der Glocken.
Und zu seinen Füßen, im Mondlicht – drei Tote.
Er schrak auf. Immer noch umfing ihn Dunkelheit, aber es war nicht die der Erinnerung, es war die Schwärze der Krypta. Die Äbtissin hätte ihm jeden Wunsch gewährt, aber er hatte diesen Ort gewählt, das steinerne Herz der Stiftskirche. Es erschien ihm der richtige Platz, um Buße zu tun. Hier zwischen den kalten Särgen war er eins mit den Schatten. Hier herrschte Stille, nur durchbrochen von seinen geflüsterten Gebeten.
Er hatte sie nicht beschützen können, und er hatte Blut vergossen.
Nicht zum ersten Mal – aber in den anderen Situationen hatte er keine Wahl gehabt. Am Friedhof jedoch hätte er sehr wohl anders handeln können, er hätte die Männer entwaffnen und bewusstlos schlagen können.
Aber er wollte nicht.
Er musste nach dem, was mit ihnen geschehen war, Blut sehen, das Blut der Schuldigen. Es war das alttestamentarische „Auge um
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