Morbus Dei: Im Zeichen des Aries: Roman (German Edition)
Bauernmädchen zu treffen, und erst mit der Morgendämmerung zurückkehren in der Hoffnung, dass ihnen ein wohlgesinnter Bruder öffnet.“
Der Mönch stutzte, sah ihn genauer an. Seine Augen weiteten sich. „Herr im Himmel, Johann List?“
„Niemand anders, Bruder Gregorius.“
„Da soll mich doch – komm herein, komm herein.“ Er zog Johann durch das Tor, klopfte ihm dabei unablässig auf die Schultern. „Johann List. Dass ich das noch erleben darf. Wie ist es dir ergangen, Junge?“
„Bruder Gregorius, ich würde Euch gerne alles erzählen, aber ich muss sofort zu Abt Bernardin.“
Gregorius senkte den Kopf. „Johann –“
„Ich weiß. Umso schneller muss ich zu ihm.“
„Dann komm. Er ist in seiner Zelle. Der alte Sturkopf wollte nicht ins Krankenzimmer.“
Johann schmunzelte. „So und nicht anders kenne ich ihn.“ Er überlegte einen Augenblick. „Gleich wird ein Mann namens Georg Wolff kommen. Er ist ein Freund, bitte veranlasst, dass man ihm Speis und Trank gibt.“
Gregorius nickte, dann führte er Johann ins Kloster.
Die Zelle war so, wie Abt Bernardin immer gelebt und vorgelebt hatte. Ein einfaches Bett, ein Tisch mit einem Stuhl, ein Kruzifix, Heiligenbilder an einer Wand, an der anderen ein hölzernes Gestell mit Büchern.
Der Abt lag im Bett, unter Decken verborgen. Drei Mönche befanden sich im Raum; einer saß am Bett und hielt die Hand des Abtes, die beiden anderen beteten. Als Gregorius und Johann hereinkamen, verstummten sie.
Der Mönch am Bett ließ die Hand des Abtes los und kam auf sie zu, verstellte ihnen die Sicht. „Gregorius, was fällt Euch ein?“ Seine Stimme war leise, aber streng.
„Bruder Konrad“, Gregorius deutete auf Johann, „Ihr kennt ihn nicht, aber das ist Johann List, der Zögling des Abtes.“
„Und wenn er der Kaiser wäre“, winkte Konrad ab, „niemand darf hier herein. Der ehrwürdige Abt –“
„Bitte.“ Eindringlich blickte Johann in Konrads Augen. „Ich muss ihn sprechen.“
Konrad musterte ihn von oben bis unten. „Wer seid Ihr, zu verlangen? Ihr gehört nicht zu uns, und –“
„Bruder Konrad. Seht!“ Einer der Mönche deutete auf das Bett.
Konrad drehte sich um. Sie sahen, dass die Gestalt im Bett die Hand hob und in Johanns Richtung deutete.
Konrad warf Johann einen scharfen Blick zu, dann trat er zur Seite. Dieser ging auf das Bett zu und beugte sich zu der mageren Gestalt hinab.
„Abt Bernardin.“
Der alte Mann lächelte.
Das Gesicht des Abtes war eingefallen, der schlohweiße Bart nicht gestutzt. Aber die Augen waren so, wie Johann sie in Erinnerung hatte: von einem leuchtenden Blau, das kein Alter, keine Krankheit und keine menschliche Niedertracht, mit welchen er immer wieder konfrontiert worden war, hatten trüben können.
Die Hand des Abtes fiel auf Johanns Arm, die Berührung war kaum wahrnehmbar.
„Mein Sohn“, die Stimme war nur noch ein Hauch, „der Herr macht mir das größte Geschenk, weil ich dich noch einmal sehen darf.“
„Ich hätte viel früher kommen müssen, aber das Schicksal hat mich immer wieder unbarmherzig vor sich hergetrieben.“ Johann seufzte. „Ich weiß, das ist keine Entschuldigung, aber …“
„Aber eine Begründung ist es allemal. Nur wenn man dem Schicksal folgt, dann –“ Ein kräftiger Hustenanfall schüttelte Abt Bernardin.
„– dann wird das Herz einem den rechten Weg weisen“, vollendete Johann flüsternd den Spruch. Tränen schossen ihm in die Augen, denn erst in diesem Moment wurde ihm vollends bewusst, dass sein Ziehvater hier vor ihm im Sterben lag. „Es gibt noch so viel, das ich Euch fragen möchte.“
Der Abt räusperte sich und lächelte dann schwach. „Und das ist gut so. Denn wer glaubt, alles zu wissen, der hat nichts gelernt.“
Johann wurde von seinen Gefühlen übermannt. Er beugte sich zu dem Sterbenden und drückte ihn an sich, als wolle er in einem Moment die langen Jahre der Trennung aufholen.
„Zu erleben, wie du aufwächst, war die schönste Zeit für mich“, flüsterte der Abt. Tränen rannen seine faltigen Wangen hinab.
„Und ich danke Euch für Eure Fürsorge und Euer Verständnis, und für all das, was Ihr mich gelehrt habt.“ Johann schluckte. „Aber ich bin selbstsüchtig, denn ich kam nicht wegen Euch, sondern wegen des Heilmittels gegen die Krankheit aus dem Tyroler Dorf“, sagte er leise und schämte sich im selben Moment dafür.
Der Abt atmete schwer, schüttelte nur den Kopf.
„Du kommst zu spät, die Dominikaner
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