Mord in Der Noris
Gesicht –
schwerfällig und schwer atmend die Treppe hinunter.
Er blieb vor ihr stehen, musterte sie und das Depot zu
ihren Füßen mit bösem Blick.
»Das schaffen Sie schleunigst wieder in diese Wohnung
da«, er deutete mit dem abgespreizten Daumen zur Tür, »andernfalls erfolgt
Anzeige. Was fällt Ihnen eigentlich ein, unser Haus so vollzustellen? Und
machen Sie gefälligst die Tür zu, es riecht hier nach Zigarettenrauch.«
»Sie sehen zu, dass Sie hier schleunigst verschwinden,
andernfalls erfolgt Anzeige von mir. Zum einen wegen mutwilliger Behinderung
einer polizeilichen Aktion. Und zum anderen wegen Widerstands gegen die
Staatsgewalt. Strafmaß bis zu zwei Jahren.«
Sie sagte tatsächlich »Staatsgewalt«, obwohl
»Polizeivollzugsbeamte« doch der richtige, viel passendere Terminus gewesen
wäre. Für einen kurzen Moment war der Mann, dessen Gesicht nun in einem
flammenden Rot leuchtete, verwirrt. Aber nicht lang.
»Zeigen S’ mir erst amal Ihren Ausweis, hopp.«
Da öffnete sich die Tür von gegenüber, und Frau Vogel
betrachtete erst die Kommissarin mit diesem gewissen Lächeln des
Wiedererkennens, dann ihren Nachbarn. Da erstarb das Lächeln.
»Aber Herr Holzbauer, das ist doch die Frau Steiner
von der Mordkommission. Frau Steiner untersucht den Mord an Frau Platzer. Und
irgendwohin muss sie ja die ganzen Sachen stellen, wenn sie in der Wohnung nach
Spuren sucht, gell?«
Schade. Sehr schade. Diese Klarstellung hätte sie
lieber selbst erledigt. Aber sie genügte immerhin, um Frau Vogels Nachbarn ein
grollendes »Ah so« abzuringen.
Bevor er die Treppe weiter hinuntergehen durfte,
nutzte Paula ihre Chance. Verspätet zwar, aber dafür umso offensiver.
»Ach, Sie sind also der Herr Holzbauer, der sich über
die Ermordete immer so lauthals beschwert hat. Das trifft sich ja hervorragend.
Sie wollte ich sowieso heute noch vernehmen. Sie halten sich ab sofort zu
meiner Verfügung. Ich komme dann später zu Ihnen rauf. Klar?«
Ihr Schuss ins Blaue war ein Treffer ins Schwarze
gewesen. Bei dem Wort »beschwert« hatten sich die beiden Nachbarn in diesem
stummen Einverständnis angesehen, das ihre Vermutung als wahr bestätigen
sollte.
»Heute hab ich ka Zeit. Morgen ist Sonntag, da passt’s
auch nicht, vielleicht …«
»Da werden Sie sich die Zeit nehmen müssen«,
unterbrach sie ihn scharf. »Sonst lasse ich Sie nämlich polizeilich suchen und
dann im Präsidium vorführen.«
Sie hoffte, dass Holzbauer nicht über so viel
juristisches Know-how verfügte, um ihre Drohung als wirkungslos einschätzen zu
können, ja sogar als illegale Amtsanmaßung in diesem Augenblick. Doch Holzbauer
verfügte anscheinend nicht über ein derartiges Wissen.
»Gut, dann gehe ich wieder rauf und warte auf Sie. Die
Zeitung darf ich mir aber schon noch holen?«
An dem devoten Ton hörte sie, dass das tatsächlich
eine Frage war, mit der er sie um Erlaubnis bat, und keine ironische Spitze.
Sie würde bei der Vernehmung leichtes Spiel mit ihm haben.
»Ja, das ist erlaubt.«
Dann ging sie zurück in die Räuberhöhle. In dem Regal
des winzigen Abstellraums lagerten Dinge, die anderswo längst ihre letzte Fahrt
zur städtischen Müllverbrennung hätten antreten müssen. Wolldecken mit
faustgroßen Mottenlöchern, Ikea-Kataloge aus vergangenen Dekaden, eine
stattliche Kollektion leerer Joghurtbecher, billige Kugelschreiber mit
Werbeaufdruck und immer wieder Stapel von alten Illustrierten, Werbebroschüren
und kostenlosen Wochenzeitungen. Aber auch ein prall gefüllter Leitz-Ordner mit
der Aufschrift »Dokumente« war dabei, eingeklemmt zwischen den Decken und den
Katalogen. Sie zerrte den Ordner aus seinem Versteck, dabei fielen einige
Decken und Kataloge ihr zu Füßen. Sie ließ alles so liegen und ging mit dem
Ordner unter dem Arm zurück ins Schlafzimmer.
Auf dem Bett schlug sie ihr Fundstück auf. Obenauf war
ein Register aus braunem Kunststoff mit Goldrand, das den Inhalt nach den
Gebieten »Bank/Sparkasse«, »Wohnung/Haus«, »Steuern«, »Garantie«, »Urkunden,
Ausweise, Bescheinigungen« einteilte. Und das Schöne war: Dieses
verheißungsvolle Register entsprach auch dem Inhalt, in allen Punkten. Elvira
Platzer hatte sich tatsächlich die Mühe gemacht, ihre Unterlagen chronologisch
zu ordnen. Sie hatte den zweiten, den richtigen Schatz dieser Wohnung gefunden.
Das, wonach vermutlich auch ihr Vorgänger gesucht hatte.
Sie schlug die Rubrik »Urkunden, Ausweise,
Bescheinigungen« auf, das dickste Bündel
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